Zusammengepfercht auf kleinen Nussschalen: Immer mehr Menschen aus Algerien erreichen die spanische Insel. Trotz negativem Bescheid können sie nicht ausgeschafft werden. Der Grund: Die Corona-Pandemie.
Es ist ein windstiller Tag, an dem die jungen Männer am Strand des nordalgerischen Küstenortes Cap Djinet aufbrechen. Dicht an dicht sitzen die insgesamt 17 Passagiere in dem Boot, das schon vor der Abfahrt überladen ist. Am Heck des kleinen Kahns ist ein Aussenbordmotor befestigt, der die Algerier in etwa 48 Stunden nach Mallorca bringen soll.
Einer der Männer filmt die Abfahrt. Man sieht auf dem Video, das durchs Internet geistert, wie sie guter Dinge sind. Voller Hoffnung, dass sie Europa erreichen werden. Doch die 300 Kilometer lange Reise übers Mittelmeer verläuft nicht wie geplant. Sturm und Wellen erschweren bald das Vorwärtskommen. Die Fahrt wird zum Horrortrip. Das Boot erleidet Schiffbruch und sinkt. Die Besatzung einer Yacht, die den Vorfall beobachtet, alarmiert den Seenotdienst und versucht zu helfen. 14 Migranten können lebend aus dem Wasser gezogen werden, drei weitere werden vom Meer verschluckt.
Niemand weiss genau, wie viele Flüchtlinge im Mittelmeer sterben. Die UNO meldet im Jahr 2021 bis Ende Oktober mehr als 800 Todesopfer im gesamten Mittelmeer. Doch die Dunkelziffer ist hoch, heisst es. Die Zahl jener, die es schaffen, wird hingegen genau festgehalten: Auf Mallorca und den Nachbarinseln Ibiza und Formentera landeten seit Jahresbeginn nahezu 150 Boote mit mehr als 2100 Flüchtlingen und Migranten. So viele wie noch nie.
Vor Kurzem, an einem Oktoberwochenende, kamen innerhalb weniger Stunden 29 Boote mit insgesamt 350 irregulären Einwanderern an. Warum plötzlich so viele? Weil das Meer zu dieser Zeit spiegelglatt war. «Perfektes Migrationswetter», wie es ein Beamter des Seenotdienstes ausdrückte. «Die Mafias sorgen dafür, dass bei günstigen Bedingungen viele Boote gleichzeitig losfahren», sagt Aina Calvo, Statthalterin der spanischen Regierung auf Mallorca.
Die Zunahme der Ankünfte sei besorgniserregend, sagen die mallorquinischen Behörden. Die steil ansteigende Kurve spricht für sich: 2018 kamen nur 199 Migrantinnen und Migranten per Boot auf Mallorca und den Nachbarinseln an, 2019 waren es 507, 2020 schon 1464 und bis Ende 2021 könnten es annähernd 3000 werden.
Die Boote sind oft Nussschalen mit 10 bis 20 Personen. Dolores Delgado, Spaniens Generalstaatsanwältin, schreibt:
«Als ob sie Vieh wären, werden die Menschen in extrem zerbrechlichen Booten zusammengepfercht»
Die meisten Migranten, die auf Mallorca ankommen, sind junge algerische Männer, die der wirtschaftlichen Misere in ihrem Land entfliehen wollen. Ein Land, in dem es an Perspektiven fehlt. Es kommen aber auch mehr und mehr Menschen aus den Armutsländern südlich der Sahara, die ein besseres Leben in Europa suchen.
Bis vor Kurzem gab es auf Mallorca kein Auffanglager. Die Ankommenden mussten tagelang auf dem Parkplatz einer Polizeistation in der Inselhauptstadt Palma aushalten, bis über ihr Schicksal entschieden war. «Unwürdig ist das», empörten sich Hilfsorganisationen. Deswegen installierten die Behörden nun am Stadtrand Palmas, auf einem alten Militärgelände, ein grosses Flüchtlingslager. Ein Camp aus weissen Zelten, das vom Roten Kreuz betreut wird. Die Einwanderer werden per Fähre aufs Festland gebracht, wo die meisten dann ungehindert weiterziehen dürfen.
Die Algerier haben zwar einen Abschiebebescheid der Polizei in der Tasche. Doch die Abschiebung kann nicht vollzogen werden, weil Algerien wegen der Corona-Pandemie seine Grenzen geschlossen hat. Das spricht sich offenbar herum und sorgt für immer mehr Abfahrten von der algerischen Küste.