Frankreichs Präsident will das historisch belastete Verhältnis zu Algier verbessern
Gleich vier Besuche hochrangiger französischer Minister waren in den letzten Monaten nötig, bevor François Hollande in Algier willkommen war und dort am Mittwoch zu einem zweitägigen Staatsbesuch eintreffen konnte. Nichts ist eben einfach zwischen Ex-Kolonie und Ex-Mutterland. Fünfzig Jahre nach dem Algerienkrieg, der 1962 in die Unabhängigkeit der wichtigsten französischen Kolonie mündete, sind die Narben noch nicht verheilt. Im März hatten die beiden Länder den 50. Jahrestag des Waffenstillstandes nicht einmal zusammen gefeiert.
Präsident Hollande will nun eine Brücke über das trennende Mittelmeer schlagen. Der 1954 geborene Präsident hatte den Algerienkrieg insofern miterlebt, als seine Eltern wie viele Franzosen darob zerstritten waren: Sein autoritärer Vater schalt Charles de Gaulle einen Verräter, weil er die «Algérie Française» aufgegeben hatte; seine Mutter hegte hingegen Sympathien für die algerische Befreiungsfront FLN. Später hatte der Jungsozialist seine Affinität mit dem freien Algerien nie verhehlt; 2006 schrieb er in einem Buch: «Wir schulden dem algerischen Volk noch eine Entschuldigung.»
Jetzt, 50 Jahre nach Kriegsende, wäre die Gelegenheit dazu da. Doch Hollande weiss, dass seine Landsleute zu einem öffentlichen Reueakt gegenüber Algerien bis heute nicht bereit sind. Dies gilt namentlich für die «Pieds Noirs» (Schwarzfüsse), das heisst jene 1,5 Millionen Algerienheimkehrer, die der Kolonialzeit weiterhin nachtrauern.
Eine Entschuldigung ist unmöglich
Pariser Diplomaten machten schon vor dem Staatsbesuch klar, dass eine Entschuldigung der einstigen Besetzer nicht infrage käme, wenn Hollande am Donnerstag vor dem algerischen Parlament das Wort ergreifen wird. Dafür erweist der Franzose den Algeriern mit einer eindrücklichen Delegation aus neun Ministern und 30 Unternehmenschef die Ehre.
In den Strassen Algier wehten gestern erstmals seit Menschengedenken wieder französische Fähnchen, und die algerische Presse verzichtet auffällig auf ihre obligaten antifranzösischen Töne. Das heisst aber noch lange nicht, dass Präsident Abdelaziz Bouteflika seinem Gast irgendwelche Geschenke machen wird. Im Gegenteil tritt er heute gegenüber Paris mit betontem Selbstvertrauen auf. So beansprucht er eine regionale Führungsrolle in der Sahara und hintertreibt Hollandes Initiative, in Mali – dem südlichen Nachbarland Algeriens – eine Militärallianz gegen die dortigen Islamisten aufzubauen. Mehr als ein paar Lippenbekenntnisse für ein gemeinsames Vorgehen gegen das neue «Talibanistan» Westafrikas liegen deshalb für Hollande nicht drin. Den Algeriern ist es ganz recht, wenn die einstigen GIA-Islamisten nicht mehr in ihrem Land, sondern südlich davon ihr Unwesen treiben. Und französische Fremdenlegionäre wollen sie im grenznahen Sahara-Gebiet schon gar nicht dulden.
Chinesen verdrängen Franzosen
Auch im wirtschaftlichen Bereich toleriert Algerien keine französische Dominanz mehr. Dem Autohersteller Renault, bisher unangefochtene Nummer eins im Maghreb, legen die Behörden Algiers immer mehr Steine in den Weg. Während Hollandes Besuch wird Renault-Boss Carlos Ghosn den Bau einer Fabrik in Oran bekanntgeben. Doch das ist nur beschränkt ein Geschäftserfolg: Vielmehr machten die algerischen Behörden diese Bedingung, damit Renault überhaupt im wichtigsten Maghrebmarkt bleiben kann. Von den chinesischen Unternehmen, die heute in Algerien fast so stark vertreten sind wie die französischen, verlangte Algier bisher nie die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort.
Algier fordert mehr Visa
Hollande würde gerne mit der Zusicherung aus Algier zurückkehren, dass Bouteflika wenigstens den seit zehn Jahren geplanten, aber immer wieder vertagten bilateralen Freundschaftsvertrag neu lancieren will. Selbst dieses bescheidene Ziel dürfte ihm aber verwehrt bleiben. Zuerst solle Frankreich den Algeriern mehr Visa zuteilen, heisst es in Algier. Hollande kann dazu aber keine Hand bieten: Die französische Rechtsopposition würde die Aufnahme neuer algerischer Immigranten politisch sofort ausschlachten. So scheint es, dass die franko-algerische Aussöhnung noch ein paar Jahre auf sich warten lassen wird. Oder vielleicht eher Jahrzehnte.