Das republikanisch dominierte Parlament in Washington will «Obamacare» den Garaus bereiten. Das ist einfacher gesagt als getan, denn die künftige Präsidentenpartei ist sich unklar darüber, wie eine Reform der Reform aussehen könnte.
Renzo Ruf/Washington
In einem Punkt sind sich die republikanischen Volksvertreter einig: «Obamacare» muss weg – je früher, desto besser. Schliesslich gehört der Kampf gegen die 2010 durch die damalige Parlamentsmehrheit der Demokraten verabschiedete Gesundheitsreform sozusagen zu den Grundpfeilern des Programms der konservativen Partei.
Wie dieser komplexe Prozess aber konkret vonstattengehen soll, darüber ist unter Republikanern nun ein Streit ausgebrochen. Und ob am Ende des politischen Verfahrens die Geburt von «Trumpcare» – einem neuen, moderneren Krankenversicherungsgesetz – gefeiert werden kann, das wissen selbst führende Parteimitglieder derzeit noch nicht. Paul Ryan, Präsident des Repräsentantenhauses, räumte am Donnerstag ein: «Wir haben eben erst damit begonnen, das Ding zusammenzusetzen.»
Das sind erstaunliche Worte für eine Partei, die mit dem Slogan «Repeal and replace!» (Aufheben und ersetzen!) in die vergangenen vier Wahlkämpfe gezogen ist. Die Erklärung für dieses Eingeständnis: «Obamacare» ist ein höchst komplexes Gesetzespaket, das 974 Seiten und Hunderte von Ausführungen zählt. Einige dieser Bestimmungen sind in der breiten Bevölkerung höchst beliebt, auch wenn die Reform als Ganzes immer noch schlechte Noten erhält. Die Republikaner suchen deshalb nun nach einem Weg, einzelne Teile von «Obamacare» zu widerrufen, ohne das ganze Gebilde zum Einsturz zu bringen – auch aus Angst davor, dass sie einen hohen politischen Preis dafür bezahlen könnten, falls plötzlich Millionen von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz wären. Zudem ist ein Systemumbau politisch heikel. Im Gegensatz zur Schweiz ist in den USA nämlich immer noch rund die Hälfte der Amerikaner über einen Arbeitgeber versichert – da die Krankenversicherung Teil des sogenannten Benefit Package ist, das am Arbeitsplatz nicht nur Managern, sondern auch normalen Angestellten (und deren Angehörigen) angeboten wird. Direkt von «Obamacare» betroffen ist also nur die andere Hälfte der Bevölkerung: Menschen, die über eine staatliche Krankenkasse – vor allem Medicaid (für Minderbemittelte) und Medicare (für Senioren) – versichert sind und Amerikaner, die Prämien an eine private Krankenkasse bezahlen.
Die Erfinder von «Obamacare» gingen davon aus, dass die 2010 beschlossene Versicherungspflicht zur Folge haben werde, dass gerade der private Marktplatz gestärkt werde. In der Praxis zeigte sich aber, dass primär Medicaid an Kunden gewann, während der Zuwachs für die privaten Versicherer in einigen Staaten hinter den Erwartungen zurückblieb. Das hatte auch damit zu tun, dass gerade junge Amerikaner sich bewusst dazu entschieden, auf die Beschaffung eines (teuren) Versicherungsschutzes zu verzichten – und stattdessen die (niedrigere) Strafsteuer an den Fiskus bezahlten. Weil mit «Obamacare» auch ein Diskriminierungsverbot gegen chronisch kranke Menschen eingeführt wurde, brachte diese Entwicklung den Risikoausgleich ins Rutschen. Die Folge: Prämienerhöhungen und immer höhere Selbstbehalte. Die staatlichen Prämienvergünstigungen vermochten diese Entwicklung nicht aufzuhalten.
Die Republikaner versuchen nun, über die Budgetgesetzgebung wichtige Teile von «Obamacare» zu widerrufen. Krankenkassenobligatorium und Prämienvergünstigungen sollen gestrichen werden; die Rede ist davon, die Auflagen an die Krankenkassen abzubauen. Unklar ist, was mit denjenigen Personen geschieht, die aufgrund der Änderungen ihren bisherigen Versicherungsschutz verlieren. Die Rede ist von mehr als 20 Millionen Menschen, wobei es sich bei dieser Zahl um eine grobe Schätzung handelt. Einige konservative Strategen sind der Meinung, die Republikaner müssten eine Alternative parat haben, um diesen Menschen zu helfen. Andere finden, der Staat müsse sich aus dem Gesundheitswesen zurückziehen, auch mit Verweis auf den tiefroten Haushalt. Ryan deutete diese Woche an, dass eine Alternative zu «Obamacare» wohl erst gegen Ende Jahr vorliegen wird. Der Zeitplan sei schlicht «rücksichtslos», findet nicht nur Präsident Barack Obama.