Toxikologe Ralf Trapp hält die Videos von Giftgas-Opfern in Syrien für authentisch. Dass die Rebellen den Kampfstoff selbst herstellen könnten, bezweifelt er.
Was können Sie über die verheerenden Angriffe in der Nacht zum Mittwoch mit Bestimmtheit sagen?
Ralf Trapp: Dass in einem Gebiet bei Damaskus eine Waffe eingesetzt worden ist, die Giftstoffe freigesetzt und zu Massenvergiftungen geführt hat. Was man nicht mit Bestimmtheit sagen kann – zumindest nicht aufgrund der Bilder allein: Um welche Art von Kampfstoffen es sich gehandelt hat. Die Bilder sind da widersprüchlich. Einige Videos deuten auf einen Nervenkampfstoff, andere auf Organophosphate oder andere starke Reizstoffe hin.
Wie wurden die chemischen Kampfstoffe eingesetzt?
Behauptet wurde, dass es Raketen waren. Das wäre denkbar, anhand der Bilder kann es aber nicht absolut bestätigt werden. Man muss vor Ort sein, um sich das genauer anzusehen.
Halten Sie es für möglich, dass bei der medialen Präsentation der Chemiewaffen-Angriffe manipuliert oder übertrieben wurde?
Ich kann das nicht ausschliessen. Bei den Videos, die wir in den letzten Tagen gesehen haben, muss man aber sagen, dass die meisten authentisch waren. Davon bin ich überzeugt. Bei früheren Videos hielten wir dagegen Manipulationen für möglich.
Die syrische Regierung bestreitet die Angriffe energisch und beschuldigt die Rebellen, die Waffen eingesetzt zu haben. Wären die Aufständischen dazu in der Lage?
Zweifel sind da angebracht. Man müsste zunächst wissen, welche Kampfstoffe eingesetzt worden sind. Geht man von Nervenkampfstoffen aus, stellt sich die Frage, ob die Rebellen Zugang zu diesen Waffen hatten oder sie selber herstellen konnten. Unter den Bedingungen dieses Bürgerkrieges kann ich mir eine improvisierte Herstellung von Sarin nicht ohne weiteres vorstellen. Das wäre hoch riskant. Das heisst aber nicht, dass Aufständische nicht auf anderen Wegen Zugriff auf Kampfstoffe gehabt haben könnten, etwa Waffenarsenale der syrischen Armee.
Was bezweckte Assad mit dem Einsatz von Giftgas, falls tatsächlich er ihn angeordnet hat?
Das ist eine der vielen Fragen, die ich mir auch stelle. Vor allem in der gegenwärtigen Situation, wo die Waffeninspektoren vor Ort sind. Es gibt eine Reihe von Erklärungen. Wir befinden uns aber im Reich der Spekulation.
Spekulieren Sie bitte!
Das tue ich normalerweise nicht (lacht). Aber eines ist ganz klar, auch von den Bildern her: Der Einsatz einer solchen Waffe sorgt für eine massive Panik und grosse Verunsicherung unter der Bevölkerung. Militärisch machte der Einsatz überhaupt keinen Sinn.
Und falls die Opposition verantwortlich gewesen wäre?
Dann wäre es ein weiterer Versuch gewesen, ein militärisches Eingreifen des Westens herbeizuführen oder grössere militärische Unterstützung zu erreichen.
Sehen Sie militärische Wege, um die Chemiewaffen unschädlich zu machen?
Das halte ich für sehr gefährlich. Es gab ja Bestrebungen, die C-Waffen aus dem Konflikt sicherzustellen, damit sie nicht entwendet werden.
Wäre dies noch möglich?
Eine Sicherung der Chemiewaffen würde den Konflikt nicht entschärfen. Sie würde aber eine weitere mit chemischen Waffen geführte Eskalation zumindest begrenzen.
* Der deutsche Toxikologe Ralf Trapp befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit C-Kampfstoffen. Er arbeitet für internationale Organisationen und berät die UNO.