Syriza
Griechenland wählt die Partei mit zwei Gesichtern

Nur wenige Stunden nach der Schliessung der Wahllokale in Griechenland wurde Alexis Tsipras als neuer Premierminister vereidigt. Doch seine Partei Syriza ist gespalten in einen extrem linken und einen pragmatischen Flügel.

Ferry Batzoglou, Athen
Drucken

Alles war am Montag im traditionsbewussten Hellas neu: Ohne Schlips kam Tsipras in den Präsidentenpalast in der noblen Irodou-Attikou-Strasse, ohne Bibel legte er seinen Eid ab, der üblicherweise obligatorische Athener Erzbischof fehlte ebenso. Am Vormittag hatte sich Tsipras mit Panos Kammenos, dem Führer der «Unabhängigen Griechen» (Anel) getroffen. Binnen weniger Minuten erzielte er mit ihm die Übereinkunft, eine Koalitionsregierung zu bilden.

«Ich kann verkünden, dass Griechenland ab sofort eine neue Regierung hat. Alles Weitere werden Sie von dem neuen Premierminister Alexis Tsipras hören», sagte Kammenos sichtlich stolz der versammelten Journalistenschar nach dem Treffen mit Tsipras in der Syriza-Parteizentrale.

Die Beobachter sind sich einig: Sowohl Tsipras als auch Kammenos wollten vor allem eines verhindern: Neuwahlen – und damit neue Turbulenzen. Dabei könnten die rechtspopulistischen «Unabhängigen Griechen» und die linke Syriza unterschiedlicher nicht sein. Bei den Themen Zuwanderung, Kirche und Aussenpolitik liegen die neuen Koalitionspartner meilenweit auseinander. Einig sind sie sich aber in der Ablehnung der Sparpolitik und fordern Neuverhandlungen mit den ausländischen Kreditgebern.

«Werden Troika nicht fragen»

Jannis Tolios (68) sitzt unterdessen in seinem spartanisch eingerichteten Büro in der Parteizentrale von Syriza. Und irgendwann redet er sich in Rage. Ja, eine Syriza-Regierung werde «die humanitäre Krise in Griechenland bekämpfen», sagt er. «So oder so.»

Dann zieht er die Augenbrauen hoch. «Nein, nein. Dazu werden wir nicht unsere Gläubiger-Troika fragen. Wieso sollen wir das tun?» Ein Schuldenschnitt? «Braucht Griechenland unbedingt!» Wie viel? «Der grösste Teil der Staatsschuld muss weg!» Der grösste Teil von 321 Milliarden Euro? Das ist ziemlich happig. «Na und? So viel muss es sein.» Und wenn die Troika Nein sagt? Tolios rollt mit den Augen. Dann poltert er: «Verdammt noch mal! Sie muss doch einsehen, dass das auf jeden Fall nötig ist!»

Tolios beisst sich derzeit lieber auf die Zunge, als preiszugeben, was er bei einer harten Haltung der Troika gegenüber Griechenland wirklich am liebsten sehen würde: einen Grexit, einen Ausstieg aus der Eurozone, einen radikalen Schuldenschnitt inklusive. Doch gegenwärtig vertritt Tolios öffentlich die offizielle Syriza-Parteilinie. Und die heisst: Ein Euro-Ausstieg kommt nicht infrage.

Tolios ist ein Altlinker. Das Plakat hinter seinem Arbeitstisch wirbt für einen Marx-Arbeitskreis. Zu Sowjetzeiten hat er an der Moskauer Lomonosow-Universität Wirtschaftswissenschaften studiert, er spricht besser Russisch als Englisch, seine Tochter heisst Rosa. «Wie Rosa Luxemburg», sagt Tolios sichtlich stolz. Er gehört zur «Aristeri Platforma» dem linken Syriza-Flügel.

Einst viele Splitterparteien

Bis zum Gründungskongress im Juli 2013 bestand das Linksbündnis noch aus einem Dutzend ultralinker Splitterparteien. Darunter waren Trotzkisten, Maoisten oder die «Bewegung für den zivilen Ungehorsam». Seit dem Kongress, bei dem sich die Partei erstmals als einheitliche Organisation konstituierte, sind just diese Komponenten formal abgeschafft. Das erklärte Ziel war: Syriza regierungsfähig machen. An der Stelle der ehemaligen Syriza-Komponenten haben sich jedoch rasch zwei Lager gebildet. Auf der einen Seite ist der gemässigte Syriza-Flügel um den charismatischen Partei-Präsidenten Tsipras, im Parteijargon «Proedrikoi» («Die Präsidenten-Leute») genannt. Für sie ist ein Ausstieg aus dem Euro keine Option.

Bruch mit der EU ist kein Tabu

Auf der anderen Seite stehen die linken Dogmatiker, die eher die EU als ihre Überzeugungen aufgeben würden. Ihr unumstrittener Anführer ist Panagiotis Lafazanis, ein linker Haudegen. Lafazanis und Co. liebäugeln anders als Tsipras und Co. offen mit einem Austritt Griechenlands aus dem Euro, falls die Troika sich auch künftig unnachgiebig zeigen sollte. Will heissen: Falls Griechenlands öffentliche Gläubiger weiterhin auf die Fortsetzung des rigiden Austeritätskurses in Athen, der Privatisierung von Staatsbesitz und Reformen vor allem im Arbeits- und Streikrecht pochen. Für den linken Syriza-Flügel ist ein Bruch mit der EU und der Eurozone durchaus eine Option, auch wenn dies nur die Ultima Ratio wäre.

Einen Starökonomen hat die Syriza-Linke auch schon parat: Kostas Lapavitsas. Er lehrt an der renommierten Londoner Soas-Universität. Sein Credo lautet: ‹Sollte die Troika einem neuerlichen Schuldenschnitt im Fall Griechenland nicht zügig zustimmen, bleibt Athen keine andere Wahl: einseitig einen Grossteil der Staatsschulden streichen, den Ausstieg aus dem Euro inklusive›. Für Tsipras ist ein Bruch mit der EU und der Eurozone indes «katastrophal», wie er am Sonntagabend bei seiner Rede nach dem Wahltriumph der Linkspartei auf dem Athener Universitätsplatz noch einmal betonte.

Kompromisse sind nötig

Beobachter deuteten dies als klaren Hinweis darauf, dass eine Syriza-Regierung im bevorstehenden Tauziehen mit der Troika Kompromisse eingehen müsse. Womöglich auch grosse Kompromisse. Das könnte im Extremfall die Regierungspartei Syriza spalten, meinen manche. Dimitris Stratoulis, ein zur Syriza-Führungsriege gehörender Abgeordneter und enger Weggefährte von Lafazanis, sieht das ganz anders. «Syriza ist so vereint wie nie zuvor», sagte er der «Nordwestschweiz».