Griechenland wählte ein neues Parlament. Es holte die Nea Dimokratia aus der Opposition zurück an die Macht. Das Linksbündnis Syriza und der bisherige Premier, Alexis Tsipras, erzielte mit 31,5 Prozent der Stimmen gegenüber den knapp 40 Prozent des Wahlsiegers ein achtbares Resultat. Der Kommentar.
Zehn Jahre nach dem Ausbruch der Schuldenkrise beginnt Griechenland sich zu erholen. Im vergangenen August verliess das Land den Euro-Rettungsschirm. Der einstige Defizitsünder weist Haushaltsüberschüsse aus. Die Wirtschaft wächst wieder, wenn auch bislang eher kraftlos. Mit der Parlamentswahl vom Sonntag hat Griechenland gezeigt, dass es sich nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch wieder stabilisiert.
Die Abstimmung war ein Zeugnis politischer Reife. Die Griechen haben weise gewählt. Sie gaben der konservativ-liberalen Nea Dimokratia eine absolute, aber keine überwältigende Mehrheit. Der am Montag vereidigte Premier Kyriakos Mitsotakis kann sofort an die Arbeit gehen, ohne langwierige Koalitionsverhandlungen führen zu müssen. Den zuletzt als Chef einer Minderheitsregierung kaum noch handlungsfähigen Alexis Tsipras schickten die Wähler auf die Oppositionsbank. Aber sie bescherten seinem Linksbündnis Syriza nicht jene vernichtende Niederlage, mit der manche Wahlforscher gerechnet hatten. Tsipras verlor gegenüber der Wahl von 2015 nur vier Prozentpunkte. Er kann erhobenen Hauptes in die Opposition gehen, Syriza bleibt eine starke politische Kraft.
Aus dem Parlament geworfen haben die Wähler hingegen die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, die in den Krisenjahren mit rechtspopulistischen, nationalistischen und ausländerfeindlichen Parolen Protestwähler gewinnen konnte.
Dass die Neonazis jetzt an der Dreiprozenthürde scheiterten, ist ebenfalls ein Indiz für die Rückkehr des Landes zu politischer Stabilität.
Mehr als 71 Prozent der Stimmen entfielen auf die beiden grossen Parteien. Nun kommt es darauf an, was der neue Premierminister Mitsotakis und Oppositionschef Tsipras aus dem Wahlergebnis machen. Mitsotakis hat ein klares Mandat für die Umsetzung seines Programms. Er will der Wirtschaft mit einer Entschlackung der öffentlichen Verwaltung und Steuersenkungen Wachstumsimpulse geben. Seine Devise lautet: Weniger Staat, weniger Steuer, mehr Investitionen und neue, hochwertige Arbeitsplätze.
Mitsotakis macht keinen Hehl daraus, dass er die strikten fiskalischen Vorgaben, die sein Vorgänger mit den Gläubigern vereinbarte, für kontraproduktiv hält. Die hohen Haushaltsüberschüsse, zu denen sich das Land in den nächsten Jahren verpflichtet hat, bremsen das Wachstum und lassen keinen Spielraum für dringend notwendige öffentliche Investitionen in die Infrastruktur.
Mitsotakis will die Gläubiger nun davon überzeugen, dass für Griechenland in dieser Phase Wachstumsimpulse wichtiger sind als hohe Haushaltsüberschüsse.
Denn je stärker die Wirtschaftsleistung steigt, desto schneller sinkt die in Relation zum Bruttoinlandsprodukt berechnete Schuldenquote.
Mitsotakis wird allerdings bei den Gläubigern noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Insbesondere in Berlin gibt es grosse Bedenken gegen eine Lockerung der Sparvorgaben. Bevor es dazu kommt, wird der neue griechische Premier erst einmal unter Beweis stellen müssen, dass er seine Wachstumsziele auch umsetzen kann. Und die sind sehr ehrgeizig: Mitsotakis will das Wachstumstempo von derzeit weniger als zwei Prozent im Jahr auf vier Prozent mehr als verdoppeln.
Ob ihm das gelingt, wird nicht zuletzt von der Opposition abhängen. Wie sieht Tsipras seine Aufgabe? Wird er in die Rolle des Rebellen zurückfallen, seine Anhänger zu Streiks und Massenprotesten mobilisieren, wie er es als Oppositionsführer in den ersten Krisenjahren tat? Seiner Partei und seinem Land würde er damit keinen Gefallen tun. Tsipras hat die Wahl verloren, weil ihm die Wähler der Mitte davonliefen. Er hat jetzt die Chance, Syriza zum politischen Zentrum zu öffnen und zu einer breit aufgestellten sozialdemokratischen Volkspartei zu machen. Das wäre nicht nur ein Beitrag zur politischen Stabilität des Landes. Nur so kann sich Tsipras auch die Option auf eine spätere Rückkehr an die Regierung sichern.