Gastkommentar
Grüner EU-Sozialismus

Eine Replik auf den Gastbeitrag zum Klimaschutz von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Martin Janssen
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Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hat in der letzten «Schweiz am Wochenende» einen Gastkommentar zum «Green Deal» verfasst, mit dem Europa klimaneutral gemacht werden soll. Ihre Aussagen können nicht unwidersprochen bleiben – denn ihre Strategie macht Angst.

Martin Janssen, Emeritierter Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich, seit über 30 Jahren Unternehmer.

Martin Janssen, Emeritierter Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich, seit über 30 Jahren Unternehmer.

Vorweg: Die EU gehört heute zu den erfolgreichen Regionen der Welt. Es gibt Freiheitsrechte, Demokratie und marktwirtschaftliche Strukturen. Lebenserwartung, Einkommen und Sauberkeit der Umwelt erreichen ansprechende Niveaus. Dem aufmerksamen Beobachter muss aber vieles in der EU zu denken geben: Banken und Staaten haben Schuldentürme aufgebaut, die sie nie zurückzahlen können. Die Verschuldung des privaten Sektors ist so hoch wie noch nie. Die Zahlungsversprechen in der Alters- und Gesundheitsvorsorge vieler Länder liegen weit ausserhalb der Realitäten. Der Euro zeigt Zerfallserscheinungen. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank schädigt die Anpassungsmechanismen der Wirtschaft und hält unproduktive Firmen am Leben. Die Union ist kaum mehr bereit, sich zu verteidigen; der Bürger wird unter dem Vorwand der Terrorismusbedrohung entwaffnet. Und über all dem liegt die Zensur, die sich über politische Korrektheit und soziale Medien ausbreitet.

Wir kennen die Zukunft nicht. Aber wir wissen, dass es wenig braucht, um die Situation zu destabilisieren. Europa würde dann in eine viel grössere Krise stürzen, als sie 2008 gerade noch einmal abgewendet werden konnte. In dieser Lage bräuchte es die Erkenntnis der Politiker, dass sie die EU wirtschaftlich, politisch, militärisch und gesellschaftlich in eine schwierige Lage geführt haben. Es bräuchte eine echte Umkehr: mehr Freiheitsrechte, Marktwirtschaft und Wettbewerb, weniger Regulationen, Subventionen und Staatseinfluss, mehr innere und äussere Sicherheit.

Stattdessen präsentiert Ursula von der Leyen ihren «Green Deal», mit dem Europa binnen dreissig Jahren «zum ersten klimaneutralen Kontinent» werden soll. Klar, es gibt einen Klimawandel. Aber «ein gutes und sicheres Leben» hängt in erster Linie von der inneren und äusseren Sicherheit, von der Alters- und Krankenvorsorge, von der Sicherheit der Arbeitsplätze, von der Verschuldung von Staaten, Banken und Privaten ab und nicht vom Klimawandel. Präsidentin von der Leyen führt den Leser ab der ersten Zeile ihres Gastbeitrages in die Irre. Und Frau Dr. von der Leyen weiss, dass es «die Wissenschaft», dank der wir wüssten, dass die «Klima-Spirale» noch aufzuhalten sei, in diesem Sinne gar nicht gibt. Fast alle Aussagen in ihrem Beitrag sind schöne Worte ohne Inhalt. Und alles soll diesem unüberlegten Plan unterzogen werden: «Vom Verkehr bis zu den Steuern, von den Lebensmitteln bis zur Landwirtschaft, von der Industrie bis zur Infrastruktur.» Alles soll durch die Politik bestimmt und verändert werden: «Wie wir produzieren und konsumieren, wie wir leben und arbeiten.» Und alles soll unumkehrbar festgeschrieben werden. Klar ist auch, dass viel mehr Geld ausgegeben werden wird. Jährlich sollen 100 Milliarden Euro zusätzlich «freigesetzt» werden. Mir wird angst, wenn nicht gewählte Beamte und Politiker ohne Verantwortlichkeit den erfolgreichen Unternehmungen und Haushalten jährlich 100 Milliarden Euro mehr Ressourcen wegnehmen und in solche Worthülsen stecken. Das ist reine Wohlstandsvernichtung.

Warum schreibt Frau von der Leyen so etwas? Sollen die Bürger so leben, wie es die Politiker wollen? (Das war schon in den genannten Diktaturen so und passiert heute in China wieder; wir alle kennen die Folgen.) Oder sollen die Bürger von der Realität abgelenkt werden, die den Politikern und Bürokraten schon längst entglitten ist? Oder glauben diese Damen und Herren, dass mit solchen Inhalten ein Kontinent geführt werden kann?