Italien
Haben die Neapolitaner das Mafia-Gen?

Ein Spruch der Anti-Mafia-Präsidentin Rosy Bindi erzürnt die Süditaliener. Der Spruch kommt zum falschen Moment: Tatsächlich ist die Mafia in Neapel auf dem absteigenden Ast.

Dominik Straub, Rom
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Die Jung-Gangster Marco und Ciro haben ein Waffenlager der Camorra geplündert. Film-Szene aus «Gomorra» von Matteo Garrone nach einem Buch von Roberto Saviano.KEY

Die Jung-Gangster Marco und Ciro haben ein Waffenlager der Camorra geplündert. Film-Szene aus «Gomorra» von Matteo Garrone nach einem Buch von Roberto Saviano.KEY

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Am Dienstag hat es in Neapel und Umgebung wieder einmal einen polizeilichen Grosseinsatz gegen die Camorra gegeben: 28 Mafiosi wanderten hinter Gitter, weitere 16 werden noch gesucht. Ausserdem wurden 3200 Geldspielautomaten beschlagnahmt, die vom mächtigen Russo-Clan illegal in den Bars von Neapel und Caserta installiert worden waren. Konfisziert wurde des Weiteren ein 9-jähriges Rennpferd namens Madison Om, das ein Strohmann der Camorra an Traber-Rennen zu zahlreichen Siegen geführt und dabei Preisgelder von insgesamt 108 000 Euro abgeräumt hatte.

Es war aber nicht die Grossrazzia, die am Tag darauf in Neapel die Schlagzeilen beherrschte. Sondern eine Aussage der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission. «Die Camorra ist ein konstituierendes Element der neapolitanischen Gesellschaft und ihrer Geschichte», erklärte Rosy Bindi, die ehemalige Präsidentin des von Regierungschef Matteo Renzi geführten Partito Democratico (PD). Im armen Süden des Landes finde «die Mafia den Nährboden, um zu wachsen und reich zu werden».

Als Beleidigung empfunden

Die Angesprochenen reagierten empört. «Die Neapolitaner haben die Camorra nicht in ihrer DNA, und sie haben auch keine überdurchschnittliche Neigung, kriminell zu werden», erklärte Neapels Oberstaatsanwalt Giovanni Colangelo.

Die Mehrheit habe nichts mit den Clans zu tun und wolle einfach nur in Frieden leben. Der Präsident der Region Kampanien, Vincenzo De Luca, bezeichnete die Behauptung seiner Parteigenossin als «Beleidigung der Neapolitaner».

Tatsächlich kommt der Spruch der Anti-Mafia-Präsidentin zum falschen Moment. Seit vor vier Jahren der ehemalige Staatsanwalt Luigi De Magistris ins Rathaus von Neapel eingezogen ist, erlebt die Stadt am Fuss des Vesuvs einen kleinen Frühling: Die Müllberge sind verschwunden, mehrere Quartiere des historischen Zentrums sind renoviert worden und erstrahlen wieder im alten Glanz.

Die «Spanischen Quartiere» kann man wieder besuchen, ohne dabei sein Portemonnaie oder gar sein Leben zu riskieren. Und die vornehme Via Toledo ist sogar vom Privatverkehr befreit worden – was vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen wäre.

Gewiss: Die Camorra ist in der Stadt nach wie vor präsent. Allein in diesem Jahr haben Abrechnungen unter den Clans schon 44 Todesopfer gefordert. Aber insgesamt ist die Zahl der begangenen Gewaltdelikte in den letzten Jahren stark zurückgegangen. «Die Camorra war stark geworden, weil sie mit der Politik und den Römer Machtzentren verbandelt war. Zumindest hier in Neapel gibt es keine solchen Kontakte mehr», betonte Bürgermeister De Magistris mit einem Seitenhieb an die Hauptstadt.

Neapel – anarchistischer Charme

Neapel ist im Begriff, wieder das zu werden, was es immer war: eine der schönsten Städte Italiens. Die Neapolitaner mögen chaotisch und anarchistisch sein – aber das ist Teil des Charmes dieser Stadt. Es gibt Kleinbetriebe, die tageweise neue Autoreifen verleihen - an diejenigen Mitbürger, die mit dem Auto zur Motorfahrzeugkontrolle müssen. Doch solcherlei ist eher neapolitanische Lebenskunst als Kriminalität. Rosy Bindi hat denn auch betont, dass sie missverstanden worden sei: Sie habe nicht behauptet, dass die Camorra zum genetischen Erbe der Neapolitaner gehöre. Aber die Existenz der Camorra zu verneinen, bedeute, «ihr das grösste Geschenk zu machen». Damit waren auch die Neapolitaner einverstanden.