Niederlande
Heute steht der Schwarze Piet vor Gericht

Er ist schwarz, hat rote Lippen und trägt goldene Ohrringe: Der Zwarte Piet ist in den Niederlanden der Begleiter des St. Nikolaus. Ein Gericht muss entscheiden, ob das diskriminierend ist.

Helmut Hetzel, Den Haag
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Nach der Überlieferung kommt er jedes Jahr im November mit dem Boot aus Spanien in den Niederlanden an – der St. Nikolaus, in den Niederlanden Sinterclaas genannt. Begleitet wird der heilige Mann mit der Bischofsmütze von seinem Assistenten, dem «Zwarte Piet» (Schwarzer Peter). Der hat, wie der Name sagt, ein pechschwarzes Gesicht, trägt oft eine rote Ballon-Mütze und goldene Ohrringe. Manchmal hat er eine Rute dabei und wirft mit den «Perpernoten», einem kleinen, harten runden Pfeffergebäck, wie wild um sich. Den Kindern überreicht der Zwarte Piet die Geschenke, die ihnen St. Nikolaus mitgebracht hat.

Anspielung auf Sklavenhandel?

Heute Mittwoch muss nun das höchste niederländische Gericht, der «Hoge Raad», entscheiden, ob der Zwarte Piet ein Kinderfreund oder ein Ausdruck von Rassismus ist. Denn einige Niederländer haben den Zwarte Piet verklagt. Sie meinen, die Kunstfigur, die Nikolaus als Knecht zur Seite steht, diskriminiere schwarze Menschen im Allgemeinen und sei eine Anspielung auf die Periode des Sklavenhandels, in der die Niederlande als Kolonialmacht eine bedeutende Rolle spielten. Die Niederlande waren die letzte europäische Kolonialmacht, die am 1. Juli 1863 den Sklavenhandel und die Sklaverei abschaffte.

«Die Figur des Zwarte Piet basiert ganz eindeutig auf den Sklaven, die an Bord unserer Schiffe von Afrika über den Atlantik nach Nord- und Südamerika transportiert wurden», meint die Historikerin Yvonne Kuiper. «Auch die damaligen Sklaven trugen goldene Ohrringe, mit denen nach ihrem Tod ihre Beerdigung bezahlt werden musste.»

Viele Nachfahren einstiger Sklaven leben heute in den Niederlanden. Sie stammen meist aus den niederländischen Überseegebieten in der Karibik, den Niederländischen Antillen und der einstigen Kolonie Surinam in Südamerika. Einer dieser Nachfahren ist der gebürtige Surinamer Perez Jong Loy. Er lebt heute in Amsterdam. «Der Zwarte Piet ist ein Symbol der Sklaverei. Er muss weg. Ich werde so lange kämpfen, bis es ihn nicht mehr gibt» sagt er. Perez Jong Loy trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: «Krieg dem Zwarte Piet.»

«Die Figur des Zwarte Piet basiert nicht auf dem Sklavenhandel. Sie ist viel älter und hat ihre Wurzeln in den neolithischen Totenfesten und heidnischen Ritualen, bei denen man sich die Gesichter schwarz färbte. Diese Rituale gab es in Europa schon 3000 vor Christus», behauptet dagegen der Historiker Arnold-Jan Scheer, Autor des Standardwerkes «Zwarte Sinterklazen». In dem Buch beschreibt er die Geschichte des Zwarte Piet. «In unserem Kulturkreis in Europa färbten sich die Menschen zu bestimmten Anlässen die Gesichter schon schwarz, bevor sie überhaupt einen Schwarzafrikaner gesehen hatten.»

Von einem Lehrer erfunden

Erfunden aber hat die Figur des Zwarte Piet als Helfer und rechte Hand des St. Nikolaus der Amsterdamer Lehrer Jan Schenkman. Um 1850 beschrieb er erstmals in seinem Buch «St. Nikolaus und sein Knecht» die Ankunft des St. Nikolaus mit einem schwarzen Knecht aus Spanien. Schenkmann nannte den Knecht «Pieter». Ab 1895 hat sich in den Niederlanden dann für den Helfer des St. Nikolaus der Begriff «Zwarte Piet» eingebürgert.

Seit 1888 wird in den Niederlanden das Nikolausfest am Abend des 5. Dezember in seiner heutigen Form gefeiert. Tausende Zwarte Pieten schwärmen dann mit ihrem Nikolaus aus, besuchen Schulen, Firmen und Familien und sorgen für die grosse Bescherung der Kinder und der Erwachsenen – so wie anderswo an Weihnachten.

Das St. Nikolausfest ist das typischste Volksfest der Niederlande. Zu den Geschenken, die der Nikolaus und der Zwarte Piet verteilen, werden auch immer Gedichte für den Beschenkten gereimt. Oft wird er oder sie dann richtig auf den Arm genommen und verspottet. Der St.-Nikolaus-Abend ist ein sehr fröhliches Fest. Es wird viel gelacht, gut gegessen und getrunken, mit der Familie gefeiert. Der Zwarte Piet spielt dabei meist den Clown.

Doch das war auch nicht immer so. Die Rolle des Schwarzen Peter hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Trat er im Buch von Jan Schenkman noch als Page auf, wandelte er sich nach und nach zum Knecht des St. Nikolaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war aus dem Zwarte Piet ein Ordnungshüter geworden. Er hatte jetzt meist eine Rute dabei, mit der er die Kinder zu Zucht und Ordnung mahnte, bevor sie ihre Geschenke bekamen. Manchmal soll er mit seiner Rute auch zugeschlagen haben.

Der Zwarte Piet als Hippie

Als Folge der 1968er Revolte wandelten sich Rolle des Zwarten Piet erneut. Er trat nun sogar als Hippie auf – mit einer Kippe oder einem Joint zwischen den Lippen. Erstmals erschienen damals auch nicht schwarz geschminkte «Pieten». Die Rute wurde abgelegt. Der Zwarte Piet war antiautoritär geworden.

In den 1980er und -90er Jahren entdeckte die Wirtschaft den Zwarte Piet. Die Kunstfigur wurde total kommerzialisiert. Es entstand eine Zwarte-Piet-Industrie. Der Zwarte Piet stieg zusammen mit dem Nikolaus zum «Big Spender» auf. Seither ist das St.-Nikolaus-Fest in den Niederlanden alljährlich ein Milliardengeschäft. Die Holländer lassen dann den Euro rollen.

Das ist sicher einer von vielen Gründe, weshalb die meisten Niederländer nicht von ihrem Zwarte Piet lassen wollen. Er gehört zur niederländischen Kultur wie der Käse zu Gouda. Apropos Gouda. In dieser Käsestadt soll in diesem Jahr der grosse festliche Einzug des St. Nikolaus mit dem Zwarte Piet stattfinden. Der Stadtrat denkt nun darüber nach, dem Zwarte Piet das Gesicht nicht schwarz, sondern gelb zu schminken, sodass er aussieht wie ein Goudakäse.

Auch das so politisch korrekte öffentlich-rechtliche Fernsehen der Niederlande, das ab dieser Woche wieder täglich ein «Sinterclaas-Journal» aussendet, will den Zwarte Piet abschaffen. «Ich könnte mir sein Auftreten in allen Regenbogenfarben vorstellen», sagte die Moderatorin des «Sinterclaas-Journals».

Politisch ganz korrekt wollen sich auch einige grosse niederländische Firmen verhalten. Die grösste Einzelhandelskette des Landes, Albert Heijn, will keinen Zwarte Piet mehr in ihren Läden auftreten lassen. Auch andere Firmen kündigten an: Bei uns wird es keinen Schwarzen Peter mehr geben.

92 Prozent aller Niederländer wollen gemäss den Umfragen weiterhin am Zwarte Piet festhalten. Aber die Richter könnten mit ihrem Urteil dem Zwarte Piet nun den Garaus machen.