Einen Monat vor den nationalen Wahlen in den USA verspürt der Demokrat Beto O’Rourke in Texas Rückenwind – obwohl er mit einem betont linken Programm in einem traditionell konservativen Staat antritt.
Selbst ein Politiker, der gerne unbequeme Wahrheiten verbreitet, sieht sich manchmal dazu gezwungen zu flunkern. Als der Demokrat Robert Francis «Beto» O’Rourke vor einem Wahlkampfauftritt in der herausgeputzten Kleinstadt Lockhart gefragt wird, wo denn in Texas das beste Barbecue serviert werde, sagt er grinsend: «Natürlich hier.» Bei jeder seiner Visiten in Lockhart habe er jeweils «wunderbare» Fleischspeisen genossen. Dann klopft er dem neugierigen Journalisten auf die Schulter, wendet sich ab und ergänzt, immer noch spitzbübisch grinsend: «Danke für diese Frage.»
Dazu muss man wissen: Barbecue ist in Texas, dem einwohnermässig zweitgrössten Staat der USA, gewissermassen eine Ersatzreligion. Kein Politiker, und schon gar nicht ein linker Demokrat, der sich um einen Sitz im Senat in Washington bewirbt, kann es sich deshalb leisten, Barbecueliebhaber vor den Kopf zu stossen.
Die Episode zeigt aber auch, wie geschmeidig Beto, wie O’Rourke gemeinhin genannt wird, im Umgang mit der neugierigen Öffentlichkeit ist. Er geht keiner kritischen Frage aus dem Weg, stellt sich regelmässig den Wählern und Journalisten und wirkt dabei bescheidener als die meisten Berufspolitiker in Washington. Dies stösst nicht nur in der breiten Bevölkerung auf grosse Zustimmung – so besuchten kürzlich mehrere zehntausend Menschen ein Konzert in Austin, das die Countrylegende Willie Nelson für Beto abhielt. Auch Journalisten von nah und fern zeigen sich von dem 46-jährigen Berufspolitiker begeistert.
Immer wieder fällt an diesem Morgen in Lockhart der Name des letzten demokratischen Präsidenten. Und obwohl Barack Obama in Texas alles andere als beliebt war – bei der Wahl 2012 brachte es der Demokrat im «Lone Star State» nur auf 41 Prozent der Stimmen –, ist dieser Vergleich ein Kompliment. In den Worten von Meghan Ganucheau, einer 33-jährigen Mutter und Anhängerin der Demokraten: «Beto ist ehrlich, inspirierend und er strahlt eine unglaubliche Energie aus.»
Ganucheau hat sich deshalb in eine lange Schlange von Menschen eingereiht, die unbedingt ein Bild mit O’Rourke schiessen wollen. Dass sie gegen 20 Minuten warten muss, stört Ganucheau nicht. Sie wolle mit Beto sprechen, sagt sie, und sich bei ihm persönlich bedanken. Eine Wählerin, die sich bei einem Politiker bedankt? Warum denn das? «Weil er sich nicht verbiegen lässt und für die Werte kämpft, die mir wichtig sind.»
In der Tat: Beto O’Rourke – Sohn aus gutbürgerlicher Familie, ehemaliges Mitglied einer Punkrockband, Gründer einer IT-Firma und seit 2013 Abgeordneter im nationalen Repräsentantenhaus – ist ein Mann, der klare Kante zeigt. Ganz egal, über welches Thema der schlaksige Politiker aus dem Stegreif spricht, stets vertritt er eine Position, mit der auch ein Bernie Sanders, das Aushängeschild der amerikanischen Linken, um Wählerstimmen werben könnte.
So setzt sich Beto für die Verstaatlichung des Gesundheitssystems ein. «Das ist das wichtigste Problem, mit dem sich unser Land derzeit konfrontiert sieht», sagt er. Auch kritisiert Beto das «rassistische Justizsystem» des Landes und spricht sich für einen humanen Umgang mit ausländischen Migranten aus – ein scharfer Kontrast zur Politik des republikanischen Präsidenten. Er habe fast sein ganzes Leben in El Paso verbracht, sagt O’Rourke. Und natürlich sei auch er der Meinung, dass die Grenze zu Mexiko streng bewacht werden solle. Aber das Beispiel El Paso zeige, dass sich Amerika nicht abschotten müsse, um in Sicherheit zu leben. Seine Heimatstadt sei eine der sichersten Metropolen in den USA, trotz der exponierten Lage am Grenzfluss Rio Grande, sagt O’Rourke. «Wir brauchen keine Mauer.»
Mit solchen Positionsbezügen widersetzt sich Beto dem Dogma, dass ein Demokrat in Texas nur dann Chancen auf Erfolg habe, wenn er sich in der Mitte des politischen Spektrums verortet. Trotzdem deuten Meinungsumfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und dem republikanischen Amtsinhaber und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz hin, der seit sechs Jahren im Senat politisiert – was angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Texas bereits aussergewöhnlich ist. Letztmals entschieden sich die hiesigen Wähler im Jahr 1988 für einen demokratischen Senatskandidaten.
Ein Grund für diesen Erfolg: O’Rourke pflegt, im Gegensatz zu Cruz, einen Politikstil, der ohne Konfrontation auskommt. So lehnt er es konsequent ab, die Positionsbezüge seines erzkonservativen Opponenten zu kritisieren. In Zeiten, in denen sich Demokraten und Republikaner mit einer gewissen Regelmässigkeit gegenseitig des Landesverrates beschuldigen, ist er damit eine Ausnahmeerscheinung. «Wir kämpfen für jeden», sagt der Demokrat und verweist auf seine Auftritte in sämtlichen 254 Verwaltungsbezirken in Texas. Diese Strategie beruhe nicht auf Meinungsumfragen oder Gesprächen mit Politstrategen, sagt Beto, sondern auf Gesprächen mit seiner Gattin Amy. «Wir waren ganz einfach der Meinung, dass ich unbedingt kandidieren müsse. Für unser Land steht derzeit zu viel auf dem Spiel.»
Einen Monat vor dem nächsten nationalen Urnengang in den USA steigt die Spannung. Beide Grossparteien verweisen auf vorteilhafte Meinungsumfragen und zeigen sich vorsichtig optimistisch für die Zwischenwahlen vom 8. November, die auch als wichtiger Stimmungstest für Präsident Donald Trump gelten, der vor zwei Jahren gewählt wurde. Neu verteilt werden alle Sitze im Repräsentantenhaus, ein Drittel der Sitze im Senat sowie die Gouverneure in 36 Bundesstaaten und drei Territorien.
Die Demokraten gehen davon aus, dass sie die 2010 verloren gegangene Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern werden. Dies, weil sie damit rechnen, dass sich gerade weibliche Stammwähler der Republikaner von der Partei abwenden werden. Die Republikaner wiederum sagen, dass sie mit Sitzverlusten rechnen, denn gemeinhin werde die Präsidentenpartei bei Zwischenwahlen abgestraft. Sie zeigen sich aber zuversichtlich, dass sie ihre knappe Mehrheit im Senat (51 zu 49 Sitze) ausbauen können. Und sie verweisen darauf, dass die emotional geführte Auseinandersetzung um die Personalie Brett Kavanaugh die Basis aufgerüttelt habe. (rrw)