Die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind auf einem Tiefpunkt, der Streit um die Hoheitsrechte in der Ägäis droht zu eskalieren. Noch bleibt es bei Wortgefechten zwischen Ankara und Athen.
Gerd Höhler, Athen
Seit Jahrzehnten streiten die Nato-Verbündeten Griechenland und Türkei um Grenzen und Hoheitsrechte in der Ägäis. Jetzt eskalieren die Konflikte gleich an mehreren Fronten. In Athen wächst die Sorge vor einer militärischen Konfrontation.
Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Rechtspopulist ist ein Freund deutlicher Worte – auch wenn er über ausländische Politiker wie den türkischen Staatschef spricht: Recep Tayyip Erdogan sei «ein Irrer», jemand, der «völlig verrückt geworden ist», sagte Kammenos diese Woche vor Journalisten. «Mit einem Wahnsinnigen kann man nicht reden», konstatierte Kammenos, Chef der Partei Unabhängige Griechen und Koalitionspartner von Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Die Tiraden zeigen: Die Beziehungen der beiden historisch verfeindeten Nato-Partner Griechenland und Türkei steuern auf einen neuen Tiefpunkt zu. Anlass für Kammenos’ Attacken: Seit fünf Wochen sitzen zwei griechische Grenzsoldaten im Hochsicherheitsgefängnis der westtürkischen Stadt Edirne. Sie waren am 1. März bei einer Patrouille im Nebel auf türkisches Staatsgebiet geraten – versehentlich, wie sie versichern. Die Hoffnung, die Soldaten könnten noch vor dem orthodoxen Osterfest am kommenden Wochenende freikommen, scheint sich zu zerschlagen.
Während sich die griechische Regierung bisher ohne Erfolg um die Freilassung der beiden Soldaten bemüht, fordert die Türkei die Auslieferung von acht türkischen Offizieren, die während des Putschversuchs vom Juli 2016 nach Griechenland geflohen waren und dort Asyl beantragten. Erdogan wirft den Griechen vor, sie schützten «Terroristen». Noch bleibt es im griechisch-türkischen Streit bei Wortgefechten. Aber EU-Diplomaten in Athen warnen vor der Gefahr eines «ungewollten Unfalls». Erinnerungen an den Januar 1996 werden wach: Damals gerieten Griechenland und die Türkei im Streit um die Imia-Felseninseln an den Rand eines Krieges. In nächtlichen Telefonaten mit Ankara und Athen konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton den drohenden Waffengang gerade noch abwenden. Jetzt flammt der Konflikt neu auf: Mitte Februar rammte die türkische Küstenwache ein vor Imia liegendes griechisches Patrouillenboot, offenbar in der Absicht, es zu versenken.
Vor wenigen Tagen unterstrich das Aussenministerium in Ankara, die Imia-Inseln, auf türkisch Kardak genannt, gehörten zur Türkei. Damit nicht genug: Die Türkei erhebt Ansprüche auf mindestens 18 griechische Ägäisinseln. Hinter diesen Gebietsansprüchen stehen auch handfeste energiepolitische Interessen: In der Ägäis werden bedeutende Öl- und Gasvorkommen vermutet.
Grosses Konfliktpotenzial hat auch der Streit um die Lufthoheit über der Ägäis. Häufig donnern türkische Militärpiloten im Tiefflug direkt über griechische Ägäisinseln – so am Ostermontag, als gleich sieben türkische F-16-Jets in geringer Höhe über die Insel Farmakonisi rasten.
Bei solchen Luftraumverletzungen steigen sofort Abfangjäger der griechischen Luftwaffe auf, um die Türken abzudrängen. Fast täglich liefern sich die Kampfpiloten über der Ägäis Verfolgungsjagden und Scheingefechte – mit scharfer Bewaffnung. Militärexperten warnen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es bei diesen Manövern zu einem Absturz oder gar Abschuss komme.
Eine riskante Spannungslage – die durch den jüngsten Streit um die inhaftierten Soldaten und die populistischen Muskelspiele des griechischen Verteidigungsministers zusätzliche Brisanz bekommt. «Wir werden jeden zerschmettern, der unsere nationale Souveränität in Frage stellt», kündigte Kammenos vergangene Woche an. Premierminister Tsipras stützt seinen Verteidigungsminister. Er konstatierte am Dienstag bei einer Kabinettssitzung, die Türkei lege ein «zunehmend provozierendes Verhalten» an den Tag und «schüre Spannungen an allen Fronten». Zugleich versuchte Tsipras, die wachsende Sorge vor einem Konflikt zu zerstreuen: Griechenland sei «ein starkes und sicheres Land mit mächtigen Verbündeten». Tsipras: «Wir bedrohen niemanden, aber wir haben auch keine Angst.»
Doch die jüngsten Spannungen könnten einen neuen Rüstungswettlauf zwischen den beiden verfeindeten Allianzpartnern auslösen. Diese Woche billigte der Verteidigungsausschuss des Athener Parlaments im Eilverfahren ein Sofortprogramm von 1,1 Milliarden Euro. Damit sollen Kampfflugzeuge und Fregatten modernisiert werden. Ein Wettrüsten mit der Türkei ist allerdings das Letzte, was Griechenland jetzt braucht: Die immensen Militärausgaben gelten als eine der Ursachen der Schuldenkrise, von der sich das Land gerade erst zu erholen beginnt.