IRAK: Haidar Al-Abadi – der Unterschätzte

Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi hat die höchsten Zustimmungsraten in der arabischen Welt. Bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren galt das Scheitern des 65-jährigen Schiiten noch als gesichert.

Michael Wrase, Limassol
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Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi. (Bild: EPA)

Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi. (Bild: EPA)

Michael Wrase, Limassol

Als Haidar al-Abadi im September 2014 zum Ministerpräsidenten des Iraks gewählt wurde, trat er ein katastrophales Erbe an: Ein Drittel des Landes, darunter die Millionenstadt Mossul, war von den Terrormilizen des sogenannten «Islamischen Staat» (IS) besetzt. Die irakischen Streitkräfte existierten nur noch auf dem Papier, und mehr als eine Million Iraker befanden sich auf der Flucht. Der IS hatte Tausende von Jesiden ermordet. Und auch die Christen des Zweistromlandes fürchteten um ihre Existenz.

«Kaum jemand ging damals davon aus, dass dieser unentschlossene, schwache und für irakische Verhältnisse viel zu konziliante Politiker sich durchsetzen würde», erinnert sich der an der Nationalen Universität von Singapur unterrichtende Politikwissenshafter Fanar Haddad. Das Scheitern des 65-jährigen Schiiten stand praktisch schon fest.

Drei Jahre später geniesst der mitunter etwas ungelenk und linkisch wirkende Politiker die höchsten Zustimmungsraten in der arabischen Welt. 75 Prozent der Bevölkerung, darunter auch viele Sunniten, sind laut aktuellen Umfragen mit seiner Amtsführung zufrieden – und dies völlig zu Recht.

Kirkuk machte ihn zum «Nationalhelden»

Al Abadi gelang die Restrukturierung der irakischen Armee und Polizei. Mit Rückendeckung aus den USA und dem Iran wurden Zehntausende für den Kampf gegen den IS mobilisiert, der im Frühjahr des Jahres endgültig aus Mossul vertrieben wurde. Das von den islamistischen Terrormilizen kontrollierte Gebiet ist inzwischen um mehr als 90 Prozent geschrumpft. Nur noch im Grenzgebiet zu Syrien können sich die Dschihadisten noch behaupten. Zum «Nationalhelden» stieg al-Abadi freilich erst auf, als unter seiner Führung Mitte Oktober die von Kurden kontrollierte Erdölprovinz Kirkuk zurückerobert und auch andere, bis dahin umstrittene Regionen besetzt wurden. «Ein derart hartes und letztlich erfolgreiches Durchgreifen hatte al-Abadi kaum jemand zugetraut», betont ein EU-Diplomat in Bagdad. Vor allem die Barsani-Kurden hätten den eher unscheinbaren Politiker sowie den «wiedererwachten Nationalstolz der irakischen Araber» völlig unterschätzt.

Politische Weggefährten beschreiben al-Abadi, welcher der schiitisch-islamistischen Dawa-Partei angehört, als einen besonnenen und geschickten Politiker. Der Familienvater lebte fast 23 Jahre lang in England, wo er an der Universität von Manchester in Elektrotechnik promovierte und schliesslich ein Unternehmen zur Reparatur von Fahrstühlen leitete. Erst 2003, nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein, kehrte er in sein Heimatland zurück. Al-Abadi amtierte dort zunächst als Kommunikationsminister, ehe er sich als Vorsitzender einer Parlamentskommission um den Wiederaufbau des Iraks kümmerte.

Obwohl sich al-Abadi in den letzten Monaten häufig in Armeeuniformen präsentierte, gilt der fromme Schiit als ein Mann der Diplomatie. Zur Überwindung der konfessionellen Spannungen besuchte er am letzten Sonntag Saudi-Arabien – eine Visite, die unter seinem unberechenbaren Amtsvorgänger Nuri al-Maliki undenkbar gewesen wäre. Dieser hatte lange Zeit auf ein politisches Comeback gehofft. Die Wiederwahl von Haidar al-Abadi im kommenden Jahr gilt nach dessen für die meisten Beobachter unerwarteten Erfolgen jedoch als sicher.