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Zwar hat Ministerpräsident die Wahl gewonnen. Doch selbst die Rekord-Impfungen haben ihm keine Mehrheit beschert. Mansour Abbas heisst der Mann, der zum Königsmacher werden soll. Eine erstaunliche Wende.
Kein Name fällt derzeit so oft in den israelischen Nachrichten wie dieser: Mansour Abbas. Ausgerechnet an ihm, dem Vorsitzenden der kleinen konservativ-islamischen Partei Ra‘am hängen nach den vierten Wahlen in zwei Jahren die Hoffnungen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Zwar ist der Likud des wegen Korruption vor Gericht stehenden Regierungschefs wieder stärkste Kraft geworden, doch auch nach diesen Wahlen steht Israel vor einer Pattsituation. Wie aus dem am späten Donnerstagabend veröffentlichten vorläufigen Ergebnis hervorgeht, erreichten weder die als Unterstützer von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geltenden Parteien noch dessen Gegner eine eindeutige Mehrheit. Insgesamt schafften 13 Parteien den Einzug ins Parlament.
Ausgerechnet Abbas könnte nun Netanjahu, der jahrelang gegen arabische Israelis Stimmung gemacht hatte, zur Mehrheit verhelfen. Der Regierungschef hatte bereits im Vorfeld der Wahlen in einer Kehrtwende Ra‘am-Anführer Abbas umworben und eine Zusammenarbeit mit ihm nicht ausgeschlossen. Auch der hatte seinerseits eine Zusammenarbeit mit dem Likud oder anderen rechten Parteien nicht ausgeschlossen und war daraufhin aus dem Parteienbündnis Vereinigte Liste ausgetreten. Denn für die anderen arabischen Parteien war eine Kooperation mit Netanjahu tabu.
Doch nun tobt nicht nur innerhalb des Likud eine erhitzte Debatte um die mögliche Koalitionsbeteiligung von Ra‘am. Netanjahus rechts-religiöser Block ist auf die offen anti-arabischen, ultrarechten Hardliner Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich vom Parteienbündnis Religiöser Zionismus angewiesen, die am Donnerstag jedwede Kooperation mit Ra'am ausgeschlossen haben.
Kopfschmerzen dürfte Netanjahu auch bereiten, dass ein Parteisprecher der konservativ-arabischen Partei bereits am Mittwoch eine Koalition mit der Partei Religiöser Zionismus, mit «Rassisten, die uns bedrohen», ausgeschlossen hatte. «Es gibt andere Optionen für eine Regierung» deutete er an und sagte, dass das Mitte-Links-Lager den Wählern von Ra‘am näherstünde.
Viele politische Kommentatoren bezweifeln, dass Netanjahu eine solche denkwürdige Koalition zusammenzimmern kann, selbst dann, wenn Ra‘am ohne aktive Beteiligung einer rechten Minderheitsregierung lediglich durch Enthaltungen in Parlamentsabstimmungen die Mehrheit sichern würde.
Der unter Druck stehende Regierungschef versucht bereits alternativ, Abgeordnete aus dem gegnerischen Lager für sich zu gewinnen und konzentriert sich dabei zunächst auf die von Gideon Sa‘ar gegründete Partei «Neue Hoffnung». Sa‘ar war im Dezember 2020 aus dem Likud ausgeschert, viele Likud-Abgeordnete sind ihm in dessen neue Partei gefolgt.
Überläufer zu finden dürfte für Netanjahu dieses Mal besonders schwer sein. Die meisten dürften den Absturz von Benny Gantz und seinem Blau-Weissen Bündnis vor Augen haben, der nach den letzten Wahlen im März 2020 sein Wahlkampfversprechen brach und einer Regierungskoalition unter Netanjahu beitrat. Auch das Anti-Netanjahu-Lager, das sich quer durch die politischen Lager zieht, ist zur Regierungsbildung vor zahlreiche Probleme gestellt.
Für eine Mehrheit wäre die Unterstützung von Ra‘am, Bennetts Yamina oder der Vereinigten Liste nötig. Eine Zusammenarbeit mit Ra‘am und der Vereinigten Liste schliessen die rechten Kräfte des Bündnisses aus. Unter Beteiligung von Yamina wiederum dürfte ein Führungsstreit ausbrechen. Als eine Option unter vielen wird derzeit trotz seines mageren Wahlergebnisses Benny Gantz als Ministerpräsident dieses ideologisch extrem breiten Anti-Netanjahu-Bündnisses gehandelt. Denn der ehemalige Generalstabschef wird als weder rechts noch links betrachtet.
Möglicherweise reicht die gemeinsame Wut des Anti-Netanjahu-Lagers angesichts der Interessenskonflikte nicht dafür, eine Regierungskoalition zu bilden. Doch sie könnte dafür reichen, «König Bibi», wie Netanjahu von seinen Unterstützern genannt wird, das Zepter aus der Hand zu nehmen. Nach Ablösung des Knessetsprechers könnten die Abgeordneten mit einfacher Mehrheit ein Gesetz erlassen, das es einem vor Gericht Angeklagten verbietet, Ministerpräsident zu sein. Für den in drei Korruptionsfällen angeklagten Netanjahu wäre dies das politische Aus. Danach ausgerufene Neuwahlen dürften die Karten komplett neu mischen.
Sollte all dies scheitern, dann gäbe es noch immer die altbewährte Option: Neuwahlen mit Bibi im Boot. Zum fünften.