Italien
Der Krieg als Goldgrube für die Mafia – wie Ukrainer in die Fänge der Clans geraten

Wie ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra Profit aus dem Leid der Ukrainer schlagen.

Dominik Straub, Rom
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Ukrainerinnen flüchten nach Italien – und geraten immer häufiger in die Fänge der Mafia.

Ukrainerinnen flüchten nach Italien – und geraten immer häufiger in die Fänge der Mafia.

Petros Giannakouris / AP

Die beiden renommiertesten Mafiajäger Italiens haben in den letzten Tagen Alarm geschlagen: Federico Cafiero De Raho, der Chef der nationalen Anti-Mafia-Behörde, sowie Nicola Gratteri, der Staatsanwalt von Kalabrien, der jedes Jahr Hunderte von ’Ndrangheta-Mitgliedern hinter Schloss und Riegel bringt. Die Clans, betonten die beiden Magistraten unabhängig voneinander, befänden sich in den Startlöchern, um aus dem Krieg Profit zu schlagen. So Cafiero De Raho:

«Die Mafia schaut wie immer voraus: Während wir uns noch mit der Gegenwart beschäftigen, arbeiten die Clans bereits an den Geschäften von morgen».

Die Geschäftsfelder, in denen die kalabrische ’Ndrangheta, die neapolitanische Camorra und die sizilianische Mafia aktiv werden wollen – und es teilweise auch bereits sind –, reichen von Waffenschiebereien und Menschenhandel bis hin zur Unterbringung von Geflohenen und – im Dienste der russischen Oligarchen – Geldwäsche.

Das naheliegendste Geschäft ist der illegale Handel mit Waffen, der seit jeher ein wirtschaftliches Standbein der Clans darstellt. «Für die Mafia sind die Waffen das Gold der Kriege», betont Anti-Mafia-Chef Cafiero De Raho – und je länger ein Krieg dauere, desto lukrativer werde dieses Geschäft. Sein Kollege Gratteri weist auch noch auf einen anderen Punkt hin: Bei Kriegen könnten die Clans auch ihre eigenen Arsenale wieder auffüllen.

«Und wenn man eine Kalaschnikow mit Kokain bezahlt, dann gibt es meist noch einen kräftigen Rabatt.»

Der Bosnienkrieg zum Beispiel sei für die ’Ndrangheta ein Geschenk des Himmels gewesen: «In ihren Waffenlagern entdecken wir bei unseren Razzien bis heute Restbestände aus diesem Konflikt», betont der Staatsanwalt von Kalabrien.

Ukrainerinnen werden zur leichten Beute für die Clans

Besonders lukrativ verspricht auch der Menschenhandel zu werden, bei dem die italienischen Clans seit langem mit der russischen und ukrainischen Mafia zusammenarbeiten. Junge Ukrainerinnen, die mit ihren kleinen Kindern vor dem Krieg fliehen, drohen eine leichte Beute der kriminellen Organisationen zu werden: Diese verhelfen den Frauen zur Flucht, um sie nachher zur Prostitution zu zwingen, ihnen die Kinder wegzunehmen und diese illegal als Adoptivkinder an italienische Paare zu verkaufen.

«Bereits heute haben wir von Hunderten geflohenen ukrainischen Frauen und ihren Kindern keine Spur mehr», betonte Federico Fossa vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gegenüber der Römer Zeitung «La Repubblica». Das UNHCR und die Kinderschutz-Organisation Save the Children fordern bereits ein umgehendes Moratorium von Adoptionen in ganz Europa.

Geld hofft die Mafia auch mit der Betreuung und Unterbringung der Geflohenen zu machen – ebenfalls ein altes Geschäftsfeld der Clans. Laut der zuständigen Spezialeinheit der Carabinieri haben ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra bereits ein mafiöses Netzwerk geschaffen, das sich, getarnt als gemeinnützige Vereine, bei den öffentlichen Ausschreibungen für die Betreuung der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer beteiligen und so einen Teil der von der Regierung dafür zur Verfügung gestellten 428 Millionen Euro abgreifen wolle.

Auf die Dienste der Mafia greifen zunehmend auch russische Oligarchen zurück, die nun die Beschlagnahmung ihrer Jachten und ihrer anderen Vermögenswerte in Italien befürchten müssen. Die Mafia, die jedes Jahr Dutzende von Milliarden Euro an Gewinnen aus dem Drogenhandel waschen muss, hat jahrzehntelange Erfahrung mit Geldwäsche.

Eine Milliarde an Vermögen bereits eingefroren

Laut Finanzpolizei sind die versierten Finanzspezialisten der Clans bereits daran, russische Vermögen – gegen grosszügige Provisionen – eiligst in sichere Steuerparadiese im Ausland zu schaffen oder in Kryptowährungen zu investieren, die von den Sanktionen kaum erfasst werden können. Dabei geht es um riesige Summen: Laut Angaben der italienischen Nationalbank sind allein im vergangenen Jahr 13 Milliarden Euro von Russland nach Italien geflossen.

Letzte Woche hatte Regierungschef Draghi bekannt gegeben, dass der italienische Staat in den wenigen Wochen seit Kriegsbeginn bereits russische Vermögenswerte in der Höhe von 800 Millionen Euro beschlagnahmt habe; inzwischen ist daraus laut Medienberichten bereits mehr als eine Milliarde Euro geworden.