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In zwei neuen Publikationen belegen Wissenschaftler, dass die allermeisten Covid-19-Opfer nicht an irgendwelchen Vorerkrankungen, sondern direkt an den Folgen des Coronavirus starben.
Es ist die zentrale Frage, über welche Regierungen, Gesundheitsämter und die Gegner von strengen Anti-Corona-Massnahmen streiten: Die tatsächliche Zahl der Covid-19-Todesopfer. Immer wieder war diese Zahl während der vergangenen Wochen und Monaten Gegenstand hitziger Debatten und sorgte für Kritik am Vorgehen von Regierungen.
Während Gegner von Corona-Massnahmen nach Italien zeigten und behaupteten, es würden dort hauptsätzlich jene (alten) Menschen am Virus sterben, die auf Grund einer Vorerkrankung sowieso schon bald gestorben wären, konnten italienische Forscher nun mit zwei Studien das Gegenteil beweisen. Es sei nicht so, dass Leute mit Vorerkrankungen mit dem neuen Coronavirus gestorben seien. Viel eher seien jene Menschen direkt an den Folgen der Covid-Erkrankung gestorben.
Daraus lasse sich schliessen, dass das Virus weniger harmlos sei, als bisher angenommen, da die Krankheit wohl für weitaus mehr Todesopfer verantwortlich sei, als man bisher angenommen habe, schreiben die italienischen Wissenschaftler der beiden Universitäten Mailand und Palermo in ihren Studien.
Bereits im April zeigten erste Analysen der italienischen Statistikbehörde Istat (Istituto Nationale di Statistica), dass das Land eine stark angestiegene Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnete. Auch kamen die Forscher bereits damals zum Schluss, dass die Zahl der Corona-Toten noch viel höher sein muss, als dies in den eigenen offiziellen Statistiken angegeben wurde.
In den beiden aktuellen Studien gingen die Wissenschaftler dieser Theorie nochmals nach und überprüften, wie viel mehr Menschen in Italien während der Corona-Pandemie im Vergleich zu den Vorjahren verstorben sind.
Da der italienische Staat selber kaum Statistiken zur Übersterblichkeit führt, diese Zahlen werden erst seit jüngerer Zeit erhoben, mussten die Forscher die Sterbezahlen von fast 1700 einzelnen italienischen Gemeinden – das sind etwa 20 Prozent aller Gemeinden Italiens – untersuchen und mit den Coronavirus-Sterbezahlen vergleichen.
Wie die Forscher schreiben, hätten sie dabei eine beträchtliche Übersterblichkeit in de untersuchten Gemeinden festgestellt. In den Vergleichsjahren (2015 bis 2019) seien jeweils zwischen dem 1. März und den 4. April um die 4000 Menschen pro Woche verstorben. Kumuliert habe es jeweils um die 20'200 Todesfälle in diesem Zeitraum gegeben.
Im Jahr 2020 lag die Sterblichkeit in den gleichen Gemeinden und im gleichen Zeitraum in bei teilweise bis zu 10'000 Menschen – pro Woche. Total sei es zu 41'329 Todesfällen gekommen. Dies ist mehr als eine Verdoppelung im Vergleich zu den Vorjahren.
Diese Zahlen überraschen, da die italienische Statistikbehörde und das nationale Gesundheitsamt ISS (Istituto Superiore di Sanità) für die besagten Gemeinden im Referenzzeitraum bisher etwa 5000 Todesfälle pro Woche und somit eine Übersterblichkeit von etwa 1000 Toten pro Woche angegeben haben.
Anhand der neuen Zahlen gehen die Forscher jedoch davon aus, dass in den untersuchten Gemeinden eine Übersterblichkeit von bis zu 6000 Toten pro Woche verzeichnet wurde. «Die offizielle Zahl der Covid-19-Toten in Italien unterschätzt, wie in anderen Ländern auch, substanziell den tatsächlichen Anstieg der Mortalität während der Pandemie», schreiben die Autoren um Manfredi Rizzo und Nicola Montano dann auch in ihren Studien.
Diese Zahlen legen nahe, dass viele Menschen während der Corona-Pandemie zwar starben, ihre Todesursache jedoch nicht untersucht, respektive die Menschen nicht als Corona-Todesfall angegeben wurden – oft, weil Tote gar nicht mehr auf Covid-19 getestet wurden.
In den Fällen, in welchen Todesopfer jedoch auf das Coronavirus getestet wurden, zeigt sich gemäss der Wissenschaftler, dass das Virus in den meisten Fällen die direkte Todesursache gewesen ist.
Für die Studie haben die Forscher der Universitäten Palermo und Mailand die Todesursachen von rund 4'942 Menschen untersucht, die eine laborbestätige Covid-19-Infektion gehabt haben. Dabei sei man zum Schluss gekommen, dass in 89 Prozent aller Fälle nicht eine Vorerkrankung zum Ableben geführt habe, sondern das Coronavirus die direkte Todesursache gewesen sei.
Lediglich in 11 Prozent aller Fälle, seien die Menschen nicht am Coronavirus, sondern an einer Vorerkrankung wie etwa einem Herzleiden, Krebs, Diabetes oder Demenz verstorben. Mit zunehmendem Alter sei die Todesursache Coronavirus auch angestiegen. Bei Menschen unter 50 lag sie bei 82 Prozent, bei Menschen über 60 lag die bei 92 Prozent aller Todesfälle.
In ihrer Studie warnen die Autoren vor der Gefährlichkeit des Coronavirus. Über 28 Prozent der untersuchten Todesopfer seien vor der Covid-Infektion kerngesund gewesen und hätten nicht an einer Vorerkrankung gelitten. «In diesen Fällen gab es keinen anderen Grund, der zum Tod beitrug, als das Coronavirus», schreiben die Forscher.
Diese eigentlich gesunden Patienten seien dann an den Folgen einer schwerwiegenden Coronavirus-Erkrankung verstorben. In den allermeisten dieser Fällen sei dann eine Lungenentzündung der Auslöser für das Ableben gewesen. Weitere tödliche Komplikationen seien Ateminsuffizienz, Schock, Herzprobleme und Blutvergiftungen gewesen.
Die Erkenntnisse aus Italien bestätigen Vermutungen aus vielen anderen Ländern, wo die Sterberate (in Europa im März und April und in den USA im April und Juli) weitaus über den statistischen Vorjahreswerten liegt. Bis anhin gaben die vorläufigen Daten zur Übersterblichkeit nur ein unvollständiges Bild der Coronavirus-Todeszahlen ab, da die Übersterblichkeit in diesem Jahr – etwa in Frankreich, Spanien, den USA, den Niederlanden und Grossbritannien – höher ist als die Zahl der tatsächlich bestätigten Coronavirus-Toten.
Durch die Erkenntnisse der italienischen Wissenschaftler kann nun davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der Coronavirus-Toten in den meisten Ländern höher ist, als dies bisher offiziell angegeben wurde.