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Libyen wird im Auftrag der Europäer weiter Flüchtlinge an der Küste aufhalten – und gut daran verdienen.
Kritiker nennen den Flüchtlings-Deal zwischen Rom und Tripolis den «Pakt der Schande» – und für einmal ist nicht Lega-Chef Matteo Salvini der Böse: Das Abkommen mit Libyen wurde im Februar 2017 vom damaligen sozialdemokratischen Innenminister Marco Minniti ausgehandelt und von Ex-Premier Paolo Gentiloni unterzeichnet. Es sah vor, dass sich Italien am Aufbau einer libyschen Küstenwache beteiligt. Im Gegenzug sollten die Libyer Flüchtlingsboote, die von ihrer Küste aus in Richtung Europa starten, stoppen und die Migranten wieder zurück nach Libyen bringen – wo die meisten von ihnen umgehend wieder in den berüchtigten Folterlagern der Schlepperbanden landen, aus denen sie entkommen waren.
Das Abkommen ist nun von der italienischen Regierung verlängert worden. Aus Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle wird das Leiden und Sterben der Migranten in Libyen für weitere drei Jahre in Kauf genommen – denn sein Ziel hat der umstrittene Deal erreicht: Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die von Libyen nach Italien übersetzen, ist drastisch gesunken – von 120000 im Jahr 2017 auf 11000 im Jahr 2019. In den drei Jahren seit Inkraftsetzung des Abkommens hat die von Italien aufgerüstete libysche Küstenwache rund 40000 Flüchtlinge im Mittelmeer abgefangen.
«Die Verlängerung ist menschlich, zivilisatorisch und politisch inakzeptabel», protestierte die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino von der Radikalen Partei bei einer Kundgebung vor dem Parlament am Sonntag. Denn alle Beteiligten wüssten genau, dass die Flüchtlinge im Bürgerkriegsland Libyen systematischer Gewalt ausgesetzt seien. Italien mache sich mit der Unterstützung der libyschen Küstenwache mitschuldig. Auch Hilfswerke wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen protestierten. Wie prekär die Sicherheitslage selbst in der Hauptstadt Tripolis inzwischen ist, lässt sich auch daran ablesen, dass das UNO-Flüchtlingshilfswerk letzte Woche sein einziges Auffanglager in der Stadt geschlossen hat.
Italien hat sich den Flüchtlings-Deal mit Tripolis bisher rund 150 Millionen Euro kosten lassen – ebenso viel kam aus den Kassen der EU. Vermutlich dürfte aber zumindest aus Rom noch deutlich mehr Geld nach Tripolis geflossen sein.
Keine gute Figur macht Brüssel: Einerseits verbietet die EU den eigenen Schiffen der Mission Frontex, gerettete Flüchtlinge nach Libyen zu bringen, weil es sich um ein nicht sicheres Land handelt. Gleichzeitig aber hilft die EU bei der Finanzierung der libyschen Küstenwache, die für Europa genau diesen Job erledigt.
Nicht besser wird der «Pakt der Schande» durch den Umstand, dass es sich bei der libyschen Küstenwache zum grössten Teil um ehemalige Schlepper handelt. «Das ist ein Haufen von Piraten, die nachweislich ins Schleusergeschäft verstrickt sind», betonte Andrej Hunko, Sprecher der Linken im deutschen Bundestag. Versuche, die libysche Küstenwache durch europäische Stellen zu kontrollieren, sind bisher am Widerstand der Libyer gescheitert.
Aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage in Libyen funktioniert der Pakt inzwischen nur noch teilweise. Im Januar sind wieder deutlich mehr Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen: Laut dem italienischen Innenministerium kamen 1273 Personen an, während es im Januar 2019 noch 155 waren. Der Auswärtige Dienst der EU warnt in einem internen Halbjahresbericht vor einer möglichen humanitären Krise in Libyen und einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen. Die Behörde empfiehlt deshalb die Rückkehr von europäischen Marineschiffen – weil die libysche Küstenwache im Fall einer Eskalation des Bürgerkrieges «schnell überfordert wäre».