Japans Walfänger laufen zur kommerziellen Jagd wieder aus

Der kommerzielle Walfang ist in Japan zurück. Doch die Zukunft der Branche ist ungewiss.

Felix Lill aus Tokio
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Das Walfang-Schiff Nisshin Maru läuft aus. Bild: Yomiuri Shimbun/AP (Shimonoseki, 1. Juli 2019)

Das Walfang-Schiff Nisshin Maru läuft aus. Bild: Yomiuri Shimbun/AP (Shimonoseki, 1. Juli 2019)

«Es wurde auch Zeit», sagt Konomu Kubo mit heiterer Stimme, «dass unsere Schiffe wieder in See stechen können.» Zufrieden blickt der ältere Herr mit schmaler Brille in die Vitrine seines Besprechungszimmers im Tokioter Hafenviertel. Lauter Walfiguren stehen da, bemalte und unbemalte, grosse und kleine, abstrakte und detailgetreue. Dann schweift er rüber zur Wand, die von Bildern dunkler Gewässer geschmückt ist, aus deren Tiefen die grossen Meerestiere emporpusten. Und einen Moment später hält Konomu Kubo zwei kleine Konservendosen in seinen Händen: «Das hier ist gehacktes Walfleisch», erklärt er. «Es ist wirklich lecker.»

Schon bald, hofft Kubo, sollen diese Produkte überall zu finden sein. Denn es dürfte nur noch einige Tage dauern, vielleicht bis zum Monatsende, bis die Schiffe seines und weiterer Betriebe wieder die japanischen Häfen erreichen. Konomu Kubo, der für das Walfangunternehmen Kyodo Senpaku arbeitet und auch als Sprecher des Branchenverbands fungiert, ist guter Dinge. Das Fleisch soll nicht nur zu Dosenfutter verarbeitet, sondern auch an Supermärkte, Restaurants und Schulkantinen geliefert werden. «So wie es früher war.»

Bald kehren die ersten Schiffe mit Wal zurück

Seit Anfang Juli betreibt Japan wieder offiziell kommerziellen Walfang. Ende letzten Jahres trat das Land aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) aus, nachdem dort die Mehrheit der Staaten gegen Japans Antrag gestimmt hatte, das seit 1986 geltende Fangmoratorium zu beenden. Tokios Delegierte hatten argumentiert, dass das Verbot seine Notwendigkeit verloren hatte, weil Sorten wie Bryde- und Zwergwale mittlerweile nicht mehr vom Aussterben bedroht seien. So sei ein nachhaltiger Fang wieder möglich. Weil aber die meisten Mitgliedsländer dennoch am Fangverbot festhalten wollten, erkannte Japan wiederum nicht mehr die Notwendigkeit, sich noch an die Regeln der IWC zu binden.

International stiess der Schritt auf grosse Kritik. Denn auch wenn die japanische Argumentation ihre Logik hat, finden nicht nur Tier- und Umweltschützer die Wiederaufnahme des Walfangs bedauerlich. Auch Verfechter des Multilateralismus, also der Idee international geltender Regeln für alle Staaten der Welt, sind alarmiert. Denn in Zeiten von Trump und Brexit hat sich Japan eigentlich gemeinsam mit Europa als Verfechter solch staatenübergreifender Regelwerke profiliert. Nun laufen in Tokio die Telefone heiss. Konomu Kubo und seine Kollegen führen Gespräche mit potenziellen Abnehmern von Walerzeugnissen. Es geht um das Öl des Tieres, auch die Knochen, vor allem aber das Fleisch. Zugleich weiss man in der Branche, dass man grosse Herausforderungen vor sich hat. Einige Jahre werde es wohl brauchen, bis man die klügsten Fangtechniken und wirksamsten Marketingstrategien wiedergefunden habe. Am Ende aber sollen die Preise fallen und die Qualität steigen. «Wal ist etwas Exquisites», sagt Kubo in seinem Besprechungszimmer und schielt wieder zur Vitrine. «Das müssen wir den Leuten nur verständlich machen.»

Es dürfte ein hartes Stück Arbeit werden. Der Konsum des Meeresfleischs zeigte über die Jahrzehnte nur in eine Richtung: nach unten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Armut weit verbreitet war, diente Wal als billige Proteinquelle in Schulen und Restaurants. In den 1960er-Jahren erreichte der Verzehr mit rund 200 000 Tonnen pro Jahr seinen Höchstwert, damals machte Wal sogar knapp die Hälfte des gesamten Fleischkonsums im Land aus. Wal war so beliebt, dass sogar ein Baseballspitzenteam namens Yokohama Whales für die Industrie warb. Nur zeigte die nachfolgende Generation kaum noch Interesse. Mit zunehmendem Wohlstand und Einfluss aus dem Ausland ass man lieber Rindersteaks oder Hamburger. Und so schwand allmählich die Nachfrage nach Wal. Heute werden in Japan pro Jahr noch rund 5000 Tonnen Wal verzehrt, selbst das Nischenprodukt Pferd wird mehr gegessen. Die meisten jungen Japaner von heute haben Walfleisch noch nie probiert. Sie verbinden es eben mit den Zeiten der Armut, die ihre Eltern oder Grosseltern noch erleben mussten und von denen sie verschont geblieben sind. Das Bild zeigt sich auch sieben Kilometer weiter nördlich vom Hafenviertel. Im Hogeisan, einem der bekanntesten Walrestaurants von Tokios Altstadt Asakusa, drängeln sich die Gäste. Der kleine Laden wird seit Jahrzehnten gut besucht. Auf der Karte wird Wal in rohen Scheibchen als «sashimi» angeboten, in frittierten Stückchen als «karaage», als Eintopf mit Gemüse oder in diversen weiteren Zubereitungsformen. Allerdings fällt auch auf: die zufriedenen Besucher hier sind vor allem höheren Alters. «Meine Generation ist mit Walfleisch aufgewachsen», sagt Michio Kono, der Besitzer des Restaurants. Kono ist 73, er gehört zur Nachkriegsgeneration. «Wir wollen jetzt versuchen, dass wir auch die jungen Leute dafür begeistern!» Seit einem halben Jahrhundert führt Kono das Hogeisan. Die Kundschaft, das weiss er selbst, ist über die Jahre mit dem Laden mitgealtert.

Überlebt die Industrie ohne Subventionen?

Dabei war das Fleisch in Japan immer erhältlich – trotz Moratorium. Als das Land in den 1980er-Jahren der IWC beitrat, wurde nämlich auch beschlossen, dass man zum Schutz des kulturellen Erbes ein wissenschaftliches Programm zur Erforschung der Wale aufnehmen sollte. So stachen weiterhin jedes Jahr Schiffe ins Meer, die offiziell Wissenschaft betrieben, zugleich aber mit Fängen an die Küste zurückkehrten, deren Fleisch, wenn auch zu erhöhten Preisen, auf den Tellern von Restaurants endete. Doch als im Jahr 2014 der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Praxis für illegal erklärte, hatte es die japanische Regierung plötzlich besonders eilig, das Walfangmoratorium entweder aufzuheben oder aus der Organisation auszusteigen. Nur stehen die Walfänger mit ihrer neuen Freiheit auch vor neuen Problemen. Der Walfang ist defizitär. Über die Jahre stiegen die Subventionen, während die Nachfrage fiel. Allein im vergangenen Jahr lagen die Verluste bei mehr als zehn Millionen Euro. Und nun, da der Walfang auch offiziell keine Forschung mehr ist, fallen die Zuschüsse weg. Werden das die Fangbetriebe überleben? «Wir haben zum Glück erst mal noch drei Jahre Zeit. Solange wird uns der Staat noch weiterhin unterstützen», sagt Konomu Kubo Der nationale Fangverband, der über die letzten drei Jahrzehnte auch die jagenden Forschungsexpeditionen durchführte, hat Anfang des Monats Flugblätter und Gratisausgaben des Branchenmagazins verteilt. In Zeitungen werden Anzeigen geschaltet. Und auf sozialen Medien sollen Fotos der Fangexpeditionen für Aufmerksamkeit sorgen. Bisher aber lässt die Vorfreude der Japaner auf sich warten. «Wir haben noch einen weiten Weg vor uns», sagt Konomu Kubo, bevor er sich aufmacht in eine Besprechung. Es ist ein Weg, von dem selbst die optimistischsten Walfänger nicht wissen, ob er der Anfang eines neuen Aufschwungs bedeutet – oder aber das Ende einer Tradition.

Japan könnte wegen des Walfangs Probleme bekommen

Zwischen Juli und Dezember sollen laut dem Fischerei-Ministerium in Tokio 150 Brydewale, 52 Zwergwale und 25 Seiwale gefangen werden. Auf das Jahr gerechnet bedeutet das gegenüber 2018, als das Land noch sein Forschungsprogramm durchführte, zunächst einen Rückgang. Man wolle sich, trotz allem, an die Richtwerte der internationalen Walfangkommission IWC halten, aus der man ausgestiegen ist. Mit derart geringen Fangzahlen wird es für die Branche schwierig, profitabel zu werden. Ein weiterer Quell der Unsicherheit für die Walfänger ist die rechtliche Grundlage. Mit dem Austritt aus der Walfangkommission hat Japan dort nun Beobachterstatus. Die Regierung in Tokio sieht damit zwar ihre Verpflichtung gegenüber dem UN-Seerechtsabkommen von 1982 erfüllt, dem Japan weiterhin angehört. Laut Atsushi Ishii aber, Professor an der Universität Tohoku in Sendai und Experte für Walfang, steht Japans Beobachterstatus in der IWC, gepaart mit einer Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs, im Widerspruch zum UN-Seerechtsabkommen. Schliesslich hat sich Japan mit der Motivation aus der IWC verabschiedet, sich nicht mehr an deren Beschränkungen zu halten. Käme es zu einer Klage vor dem internationalen Seegerichtshof in Hamburg, vermutet Ishii, käme Japan in Schwierigkeiten.