Sie spielen in den nächsten Wochen die wichtigste Rolle in der katholischen Kirche: die 117 Kardinäle, die den neuen Papst aus ihren eigenen Reihen wählen werden. Wer sind sie? Woher kommen sie? Und wie viel Macht haben sie tatsächlich?
Schon bald werden sich die Kardinäle zum Konklave in der Sixtinischen Kapelle treffen und über den künftigen Papst beraten. Beim letzten Mal wurden sich die Herren – oder besser «(Ihre) Eminenzen», wie die offizielle Anrede lautet – rasch einig. Nach nur 26 Stunden wurde im Jahr 2005 der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger gewählt.
Dieses Mal sind von den 210 Kardinälen voraussichtlich 117 zur Wahl zugelassen. Wahlberechtigt sind sie deshalb, weil sie unter 80-jährig sind. Das Prozedere ist bis ins kleinste Detail geregelt. Die Kardinäle schwören Verschwiegenheit, dürfen keine Briefe schreiben oder empfangen, nicht telefonieren oder auf andere Weise Kontakt zur Aussenwelt aufnehmen.
Doch wie wird man Kardinal, und wie bekommt man somit eine zentrale Rolle bei der Papstwahl? Die allermeisten Kardinäle waren zuvor Bischöfe, und die meisten sind bei ihrer Berufung zum Kardinal in grossen Städten wie in Paris oder New York tätig. Oder sie amten an bedeutenden Bischofssitzen wie Köln oder Boston. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Es gibt einige wenige Theologen, die direkt zum Kardinal berufen wurden. «Der Papst sucht sich die Kardinäle allein aus und ernennt sie auch selber», sagt Edmund Arens, Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. «Dabei ernennt er nur Personen zum Kardinal, die er persönlich kennt und denen er stark vertraut.»
Interessanterweise kommen gleich vier Kardinäle aus der Schweiz:
Alle vier Schweizer Kardinäle stammen aus kleinen Bischofssitzen. «Sie wurden ernannt, weil der Papst sie mit ganz bestimmten Aufgaben betrauen wollte», sagt Arens. Georges Cottier zum Beispiel diente Papst Johannes Paul II. als Päpstlicher Haustheologe, Papst Benedikt XVI. ernannte Cottier dann im Jahr 2003 zum Kardinal. Kurt Koch wurde als Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen nach Rom berufen, dadurch erlangte er den Status eines Erzbischofs, und schliesslich wurde er 2010 Kardinal.
Oftmals werden die Kardinäle auch als «Senat des Papstes» bezeichnet – mit dem einzigen, aber gewichtigen Unterschied zu einem politischen Staat, dass sie nicht überall mitentscheiden können. Genau genommen, fällen sie einen einzigen Entscheid: Sie wählen den nächsten Papst.
Das war aber nicht immer so. Anfangs (im 4. Jahrhundert) waren Kardinäle gewöhnliche Mitarbeiter des Papstes, welche weiterhin in Roms Kirchen als Priester dienten. Im 11. Jahrhundert erhielten die dann die Funktion von Wahlmännern, die den künftigen Papst bestimmen sollen.
Heute leben und arbeiten 30 bis 40 Kurienkardinäle in Rom. Sie haben die Funktion von «Ministern» inne wie in weltlichen Regierungen. Sie werden vom Papst mit verschiedenen Ressorts betraut und treffen sich auch regelmässig mit dem Pontifex zu Gesprächen. Geht es um wichtige Themen, ruft der Papst die Kardinäle aus aller Welt zusammen. Das war zum Beispiel am vergangenen Montag der Fall, als Benedikt XVI. die nächsten Heiligsprechungen mitteilte und dabei auch noch für viele überraschend seinen Rücktritt als Papst bekannt gab.
Kardinäle spielen im römischen Kirchenalltag eine zentrale Rolle. Einige unter ihnen gehören zum innersten Machtzirkel des Vatikans: So einer war zum Beispiel Kardinal Joseph Ratzinger. Vor seinem Pontifikat war Benedikt XVI. Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre. Er galt in seiner Amtszeit als einer der einflussreichsten Kardinäle und in theologischen und kirchenpolitischen Fragen als rechte Hand seines Vorgängers Papst Johannes Paul II.
Grosser Einfluss wird auch dem Luzerner Kurt Koch beigemessen. Er ist, vereinfacht gesagt, der Ökumene-Minister in Rom und leitet den Rat für die Einheit der Christen. Sein Job: Koch muss für gute Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den anderen christlichen Kirchen sorgen. «Er hat eine sehr wichtige Aufgabe, der Papst misst dem Thema eine hohe Priorität zu», sagt denn auch Theologe Arens. Zumal die Einheit der Christen ein zentrales Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils sei. Koch selber könne von seinem Posten ebenfalls profitieren: Er ist aufgrund seiner weltweiten Auftritte ein in der Öffentlichkeit bekannter Mann.
Und trotzdem betont Arens, dass das letzte Wort noch immer der Papst hat, er habe die höchste, volle und universelle Gewalt. «Wenn er Nein sagt, dann ist auch Nein.»
Obwohl der Luzerner Kurt Koch zu den wichtigeren Kardinälen gehört, wird er laut Arens wohl nicht der Ernannte sein, wenn kurz vor Ostern auf dem Petersplatz verkündet wird: «Habemus papam.» Der Experte rechnet Koch keine Chancen ein: «Nicht etwa, weil er in Rom nicht genug geschätzt würde. Sondern vielmehr, weil das Papstamt seit 30 Jahren in europäischer Hand ist, und viele der Ansicht sind, nun sei ein lateinamerikanischer oder afrikanischer Kardinal an der Reihe.» Arens nennt Peter Turkson aus Ghana als einen der möglichen Favoriten, zumal dieser schon bei der letzten Papstwahl im Gespräch war.
Wer das Rennen machen wird, ist schwierig zu sagen. Laut Arens ist das Gremium von der Einstellung her sehr heterogen, was es erschwere, eine Prognose zu machen. Es gebe ganz unterschiedliche Haltungen, wie sich die katholische Kirche positionieren solle. Von liberaleren Kräften bis zu den knallharten Konservativen seien alle vertreten. Schliesslich ist zur Papstwahl eine Zweidrittelmehrheit nötig.
Und so beginnt im Vatikan schon bald der Machtpoker unter den Kardinälen. Viel zu sagen haben die Europäer. Sie stellen noch heute mehr als die Hälfte der Kardinäle (55 Prozent). Aus Lateinamerika kommen 15 Prozent, aus Nordamerika 10 Prozent, aus Asien 9 Prozent und aus Afrika 8 Prozent. Bis ins Jahr 1950 stammten die Kardinäle ausschliesslich aus Europa, erst Papst Pius XII. hat das Gremium internationalisiert und erstmals Vertreter aus Nord- und Lateinamerika zu Kardinälen ernannt. Dass dereinst mit Turkson gar über einen schwarzen Papstanwärter diskutiert werden könnte, wäre damals unvorstellbar gewesen.
MEINUNG flu. Als Papst Benedikt XVI. am Montag seinen Rücktritt bekannt gab, war die ganze Welt überrascht. Einer aber wird über die Neuigkeit aus Rom nicht sonderlich verwundert gewesen sein: Peter Henrici (geboren 1928), der frühere Weihbischof im Bistum Chur. Er war schon länger überzeugt, dass Joseph Ratzinger noch vor dem Jahr 2015 zurücktreten wird.
In einem Interview mit der katholischen Zeitschrift «Sonntag» sagte Henrici im April 2010: «Ich persönlich gehe davon aus, dass Benedikt XVI. spätestens bis zum 800. Jubiläum des Geburtsjahres von Papst Coelestin V. (1215-1296) sein Amt niederlegen wird.» Coelestin V. war der einzige Papst der Kirchengeschichte, der sein Amt aus eigenem Antrieb niederlegte.
Auf den Rücktritt deute eine symbolische Handlung hin, sagte Henrici im erwähnten Interview weiter: «Bei einer Wallfahrt zum Grab von Coelestin V. legte er (Papst Benedikt XVI.) dort sein Pallium nieder.» Ausserdem habe Kardinal Ratzinger bereits in der Apostolischen Konstitution über die Papstnachfolge gleich mehrmals festgehalten, dass die neuen Regeln der Papstwahl auch dann Gültigkeit hätten, «wenn der alte Papst noch lebt». Henrici: «Das bestätigt, dass für den jetzigen Papst eine Amtsniederlegung vor seinem Tod durchaus denkbar ist.»
AUFTRITT flu. Kardinäle tragen einen besonderen «Kardinalsring» und zu besonderen Anlässen einen scharlachroten («porpora») Talar zur Chorkleidung und die Mozetta (Schulterumhang) sowie das scharlachrote Birett (Kopfbedeckung), das in einer besonderen Zeremonie vom Papst verliehen wird. Hinzu kommen das Zingulum (Gürtelband) und der Pileolus (Scheitelkäppchen) aus roter Moiréseide. Die rote Farbe soll darauf hinweisen, dass sie bereit sein sollen, jederzeit als Märtyrer für den Glauben zu sterben. Der früher übliche grosse Kardinalshut mit 15 zu den Seiten herabhängenden roten Quasten (fiocchi) wurde 1969 von Paul VI. abgeschafft und erscheint heute nur noch im Wappen eines Kardinals.
Die Kurienkardinäle erhalten vom Vatikan ein «für Schweizer Verhältnisse» bescheidenes Gehalt, sagt Edmund Arens, Professor an der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern. Alle andern Kardinäle werden von ihren Diözesen oder Ländern bezahlt. Kardinäle bleiben oft bis zu ihrem Tod in Rom, und sie haben das Recht, in ihrer Titelkirche in Rom bestattet zu werden.