Kommentar
Jetzt erst rechts: Wie Extremisten die AfD an den Abgrund führen könnten

Kurz vor den Landtagswahlen getraut sich die gemässigte Führung der Partei kaum, den radikalen "Flügel" zurechtzuweisen. Denn die Stimme der extremen Rechten sind Garant für den Wahlerfolg in den neuen Bundesländern.

Cornelie Barthelme aus Berlin
Cornelie Barthelme aus Berlin
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Im Bild wirbt die rechtskonservative AfD auf einem Plakat mit migrationskritischen Parolen.

Im Bild wirbt die rechtskonservative AfD auf einem Plakat mit migrationskritischen Parolen.

Sean Gallup/Getty, Berlin, 17. April 2019

«Was wir jetzt haben», sagt Georg Pazderski, Berliner Chef der Partei Alternative für Deutschland (AfD), «ist ein reinigendes Gewitter.» Draussen aber befleckt kein Wölkchen den Berliner Himmel – und die grosse Politik in Deutschland hat endlich grosse Ferien. Ausgenommen: die AfD. Bei der dienstjüngsten Partei im Parlament gehört Aufruhr zwar zum Programm. Aber so viel internen Tumult wie aktuell hatten die Rechtspopulisten länger nicht mehr.

Kurz gefasst geht es darum, wie viel Gewicht dem «Flügel» zugestanden wird, dem Sammelbecken für die Nationalisten und die Völkischen unter den Parteimitgliedern. AfD-Bundesvorsitzender Jörg Meuthen hat einen Fünftel der Mitglieder dort verortet. Umstritten ist zudem, wie viel Macht der «Flügel»-Frontmann Björn Höcke sich nehmen darf. Der Thüringer Partei- und Fraktionschef Höcke selbst findet: sehr viel.

Deshalb hat Höcke jüngst beim Jahrestreffen des «Flügels» dem Bundesvorstand mit Abwahl gedroht. Zu denen, die das nicht amüsiert, gehört - Pazderski, der Stellvertreter der Bundesvorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Mit 99 anderen lancierte Pazderski deshalb den «Appell der 100». Darin wird Höcke als unsolidarischer Egozentriker mit einem «exzessiv zur Schau gestellten Personenkult» charakterisiert.

Still aus Angst vor Wählerverlust

Für die Unterzeichner steht fest: «Die AfD wird keine Björn-Höcke-Partei.» Indes: Abgewendet ist das Risiko der internen Spaltung damit nicht. Und knapp vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September traut sich weder Pazderski noch irgendwer sonst, das abschliessend zu klären.

In Ostdeutschland nämlich ist der «Flügel» stark und Höcke ein Wähler-Magnet. Beim Brandenburger Wahlkampfauftakt in Cottbus schallten die «Höcke!-Höcke!»-Rufe. Fragt man Pazderski, den Berliner, was der «Flügel» denn sei, antwortet er: «Eine Gruppe, die durchaus ihre Daseinsberechtigung hat, wenn sie ihre Aufgabe wahrnimmt: Die Tür nach ganz rechts aussen zuzumachen.» Und dann schiebt er nach: «Keine Extremisten.»

Was Pazderski nicht sagt, aber weiss: Exakt denen öffnet der «Flügel» die Tore zur AfD sperrangelweit. Der Verfassungsschutz hat die Gruppe als rechtsextremistischen «Verdachtsfall» im Visier. Die Geheimdienstler sehen, was Gemässigteren wie Pazderski einen Strich durch ihre Rechnungen machen kann: Wie eng Höcke und der Vordenker der völkischen Neuen Rechten, Götz Kubitschek, miteinander sind. «Einen kleinen Einfluss» Kubitscheks bestreitet selbst Pazderski nicht, aber nur «auf bestimmte Personen, keinen auf die AfD».

Ohne den "Flügel" kann die AfD nicht abheben

Pazderski muss das sagen, denn er weiss: Eine mögliche Beeinflussung der Partei würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Verfassungsschutz bald die ganze AfD beobachtet. Wie aber soll das passen zu dem Bild, das er von seiner Partei zeichnet: «bürgerlich» und wählbar für «die konservative Mitte».

Aus demselben Grund muss Pazderski auch Höcke kleinreden. Wer sei der denn schon, fragt er also – und antwortet: nur Chef «einer der kleinsten Landesverbände». Und dann fallen ihm die Verantwortlichen für Höckes Aufstieg ein: «Er ist hochgeschrieben worden von der deutschen Presse.»

Höckes Fans aber sind anderswo zu suchen. Bislang gehört Bundeschef Gauland zu ihnen, der den «Appell der 100» nicht unterzeichnet hat, genau wie die Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, die Höcke noch vor zwei Jahren gern aus der Partei ausgeschlossen hätte. Nun steht ihr Name in der Referentenliste der «Sommerakademie», die der völkische Vordenker Kubitschek im September auf seinem Gut in Sachsen-Anhalt organisiert.

Pazderski sagt, die AfD wisse um dessen «enge Verbindungen zur identitären Bewegung», die der Verfassungsschutz ebenfalls als Verdachtsfall führt. «Die AfD muss ihr Verhältnis zu Kubitschek überdenken», habe er deshalb jüngst im Bundesvorstand gefordert.

Ohne den «Flügel», auch das weiss Pazderski, kann die AfD ihr Ziel, in Sachsen und Brandenburg auf Platz eins einzukommen, vergessen. Mit weiter eskalierendem Streit aber auch. Ruhe müsse einkehren. «Erst mal.» Was bedeutet: kein Aufruhr bis zu den Wahlen. Danach geht der Kampf einfach weiter.