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Der US-Präsident hat mit grösster Wahrscheinlichkeit den Präsidenten der Ukraine erpresst. Er wollte damit «Dreck» über seinen gefährlichsten Herausforderer, Joe Biden, erhalten. Das wäre ein klarer Verstoss gegen die Verfassung. Die Analyse.
Die Mehrheitsführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, hat sich bisher strikt geweigert, ein Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump zu autorisieren. Sie tat dies gegen eine wachsende Mehrheit in ihrer eigenen Fraktion. Nun scheint sie ihre Meinung geändert zu haben. In einem Brief an die demokratischen Abgeordneten schrieb sie über das Wochenende:
Sollte die Regierung weiterhin versuchen, die Aussagen eines Whistleblowers zu blockieren, die ein schwerwiegendes Vergehen des Präsidenten gegen die Verfassung zum Inhalt haben, dann bedeutet dies, dass sie ein neues Kapitel in der Gesetzlosigkeit aufschlagen und damit eine neue Stufe der Untersuchungen nötig machen.
Pelosis Aussage lautet in der Kurzfassung: Ein Impeachment gegen Trump ist möglich geworden.
Adam Schiff, einer der wichtigsten Adlaten Pelosis und Vorsitzender des einflussreichen Intelligence Committee, erklärte derweil in einem CNN-Interview:
Ich habe bisher gezögert, den Impeachment-Pfad zu beschreiten. Aber der Präsident scheint de facto Militärhilfe zurückbehalten zu haben, um so den Präsidenten eines fremden Staates zu nötigen, etwas Illegales zu unternehmen, nämlich Dreck gegen seinen Gegner im Wahlkampf zu liefern. Sollte dies zutreffen, dann ist ein Impeachment die einzige Möglichkeit, dieses Übel zu bekämpfen.
Wenn Pelosi und Schiff über ein Impeachment sprechen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross geworden, dass dieses Verfahren auch eröffnet wird. Aber was ist überhaupt vorgefallen?
Der ehemalige Vize-Präsident Joe Biden führt nach wie vor in den Umfragen als möglicher Herausforderer von Trump. Sein Sohn Hunter Biden ist Partner einer Beratungsfirma. 2014 hat Hunter Biden ein lukratives Verwaltungsratsmandat einer ukrainischen Erdgasfirma erhalten. Ein eher problematisches Mandat, wie heute allgemein anerkannt wird.
Gegen diese Firma hat der Staatsanwalt ein Verfahren wegen Korruption eingeleitet. Das Verfahren hat jedoch keine Schuld Hunter Bidens ergeben und wurde eingestellt.
2016, rund zwei Jahre nach dem Sturz von Wiktor Janukowytsch, wurde der betreffende Staatsanwalt seinerseits der Korruption angeklagt und entlassen. Die USA und die anderen westlichen Staaten hatten vehement auf dessen Entlassung bestanden. Joe Biden, damals Vizepräsident der USA, flog eigens nach Kiew, um dafür zu sorgen, dass der Staatsanwalt auch gefeuert wurde.
Auftritt Rudy Giuliani: Trumps persönlicher Anwalt versucht seit Langem, die Entlassung des korrupten Staatsanwalts umzudeuten und zwar wie folgt: Der eigentliche Grund der Entlassung sei gewesen, Hunter Biden vor weiteren Ermittlungen zu schützen. Deshalb habe sich sein Vater auch so ins Zeug gelegt.
Diese Version wird von den Bidens bestritten. Vater Biden habe von diesem Mandat keine Kenntnis gehabt, erklären sie unisono. Giuliani hat bisher keine Beweise für seine Unterstellungen vorgelegt.
Nun ist jedoch bekannt geworden, dass Trump persönlich in einem Telefongespräch den neu gewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi achtmal auf die Biden-Angelegenheit angesprochen haben soll. Das meldet das «Wall Street Journal». Trump selbst hat nun am Sonntag zugegeben, dass er tatsächlich mit Selenskyi über Biden diskutiert hat, es sei jedoch alles mit rechten Dingen zugegangen.
Allgemein wird angenommen, dass der unbekannte Whistleblower dieses Telefongespräch gemeldet hat. Brisant daran ist, dass die Trump-Regierung einen längst gesprochenen Militärkredit in der Höhe von 250 Millionen Dollar an die Adresse der Ukraine zurückbehalten hat.
Trump & Biden in their own words. @Morning_Joe pic.twitter.com/Wc6qN73Jry
— Daniel Norwick (@danielnorwick) September 23, 2019
Dieser Kredit ist inzwischen freigegeben worden. Der Verdacht jedoch, dass der US-Präsident seinem ukrainischen Gegenüber ein sogenanntes «quid pro quo» vorgeschlagen hat – will heissen: Du erhältst das Geld, wenn gegen Biden ein Verfahren eingeleitet wird – ist damit jedoch nicht ausgeräumt.
Sollte sich dieser Verdacht erhärten, dann wäre das ein schweres Verbrechen und Trump müsste zwingend impeached werden. Deshalb fordern die Demokraten Klarheit. Konkret bedeutet dies: Die Aussagen des Whistleblowers müssen dem Intelligence Committee vorgelegt und eine Transkription des Gespräches zwischen Trump und Selenskyi veröffentlicht werden.
Die Whistleblower-Affäre könnte so der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Demokraten sind mehr als frustriert über Trumps Politik der totalen Blockade. Das Weisse Haus verweigert jede Auskunft, verhindert jede Herausgabe von Dokumenten, selbst wenn dies offensichtlich illegal ist.
Trump setzt darauf, dass ihn das langsame Mahlen der Mühlen der Justiz über die Zeit retten wird, will heissen, dass er 2020 wiedergewählt wird und dann diese Untersuchungen niederschlagen kann.
Dazu benützt er die gleiche Taktik wie in der Russland-Affäre: Zuerst wird geleugnet, dann ein bisschen zugegeben, und schliesslich wird alles als «Hexenjagd» oder Verschwörung eines vermeintlichen «Deep State», der Demokraten und der Mainstream-Medien gegen ihn umgedeutet.
Bisher ist Trumps Taktik aufgegangen. Doch nun nimmt der Druck zu. Selbst Republikaner werden kritisch. So hat etwa der ehemalige Präsidentschaftskandidat Senator Mitt Romney erklärt, sollte der US-Präsident den ukrainischen Präsidenten tatsächlich unter Druck gesetzt haben, dann wäre das «extrem beunruhigend».
Bei den Progressiven in der Demokratischen Partei wächst derweil die Wut über die Untätigkeit der Führung. Der Star der Linken, Alexandria Ocasio-Cortez, hat getwittert: «Der grösste nationale Skandal ist nicht das verbrecherische Verhalten des Präsidenten – es ist die Weigerung der Demokratischen Partei, ihn dafür zu impeachen.»
At this point, the bigger national scandal isn’t the president’s lawbreaking behavior - it is the Democratic Party’s refusal to impeach him for it.
— Alexandria Ocasio-Cortez (@AOC) September 22, 2019