Frankreich
Kampf der Republikaner: Wie konservativ darf der Präsident sein?

Morgen Sonntag entscheidet sich, wen die Republikaner für die Wahl 2017 ins Rennen schicken.

Stefan Brändle, Paris
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Kampf der Republikaner: Alain Juppé (links) und François Fillon.

Kampf der Republikaner: Alain Juppé (links) und François Fillon.

Keystone

François Fillon: Der Wertkonservative

Auch wenn die Primärwahl der französischen Konservativen noch nicht entschieden ist, geht François Fillon doch als grosser Favorit in die Endrunde gegen Alain Juppé. Mit gutbritischem Understatement ausgestattet, verhehlte der 62-jährige Gaullist seine Freude. Doch welches Triumphgefühl muss er schon verspürt haben!

«Seriös und ehrlich»: Valéry Giscard d’Estaing über François Fillon

«Seriös und ehrlich»: Valéry Giscard d’Estaing über François Fillon

Keystone

Fillon, der «seriöse und ehrliche» Politiker (so Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing vergangene Woche) wurde nie richtig ernst genommen, weder als Minister noch später als Premierminister (2007–2012). Staatschef Nicolas Sarkozy tat ihn despektierlich als «Mitarbeiter» ab. Und als sich Fillon um den Parteivorsitz bewarb und am meisten Stimmen erhielt, wurde er von seinem Parteifreund Jean-François Copé schlicht darum betrogen.
Im Primärwahlkampf lag Fillon monatelang auf dem undankbaren dritten Platz hinter den Platzhirschen Sarkozy und Juppé.

Am Sonntag qualifizierte er sich zur allgemeinen Überraschung weit vor allen anderen für die Stichwahl: Die Schildkröte hatte wie in der Fabel von La Fontaine zum Schluss noch die Hasen überholt. Zeichen, wie ernst Fillon plötzlich genommen wird: Seine Gegner mobilisieren massiv gegen ihn. Das Juppé-Lager bezeichnet ihn als «Putin-Versteher», als «Traditionalisten» und als «Thatcheristen». An all dem ist etwas Wahres. Als Gaullist steht er Russland so nahe wie den USA, als praktizierender Katholik steht er der Abtreibung skeptisch gegenüber; und sein Wahlprogramm ist eindeutig wirtschaftsliberal: massive Steuersenkungen für Unternehmen, Abschaffung der Vermögenssteuer bei gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer; Rentenalter 65 statt 62 und Abschaffung der 35-Stunden-Woche.

Zugleich ist der ehemalige Anhänger des legendären Sozialgaullisten Philippe Séguin aber für einen starken Staat – in einem geeinten Europa: Anders als viele Maastricht-Gegner stimmte Fillon 2005 für die EU-Verfassung. Gesellschaftspolitisch ist Fillon unbestritten konservativ. Er ist gegen das Adoptionsrecht Homosexueller, für die Ausschaffung illegaler Immigranten und für den Bau von 16 000 Gefängnisplätzen.

Fillon wäre der erste Präsident Frankreichs, der mit einer Nichtfranzösin verheiratet ist. Seine Ehefrau Penelope ist Engländerin. Das Paar hat fünf Kinder und lebt in einem ansehnlichen Manoir (Gutswesen) bei Le Mans, wo Fillon als Hobby-Rennfahrer das gleichnamige
24-Stunden-Rennen gefördert hat.

Alain Juppé: Der Gutbürgerliche

Monatelang schwebte Alain Juppé in den Meinungsumfragen über seinen Mitstreitern bei der Primärwahl der französischen Konservativen. Während sich Nicolas Sarkozy und François Fillon untereinander balgten, schwieg der 71-jährige Sozialgaullist gelassen; dazu gab er sich ganz als «Elder Statesman», der die Franzosen von der politischen Mitte bis nach rechts anzog und einte.

«Der Beste von uns»: Jacques Chirac über Alain Juppé.

«Der Beste von uns»: Jacques Chirac über Alain Juppé.

Keystone

Viele erinnerten sich daran, was der ehemalige Staatschef Jacques Chirac einmal von Juppé sagte: «Er ist der Beste von uns.» Am Sonntag folgte die Katastrophe: Mit bloss 28 Prozent fiel Juppé im ersten Durchgang der Primärwahl weit hinter Fillon (44 Prozent) zurück. Nicht er, der Beste, sondern sein unscheinbarer Rivale steht nun vor der Investitur der Partei für die Präsidentschaftswahlen 2017 und damit vor dem Einzug in den Élysée-Palast. Jetzt muss Juppé handeln.

Über Nacht entledigte sich der Bürgermeister von Bordeaux der vornehmen Zurückhaltung, die in der Weinstadt zum guten Ton gehört. Aus allen Medienrohren schiesst er gegen Fillons «unglaubwürdiges» und «gefährliches» Programm, das die verknöcherten Wirtschaftsstrukturen Frankreichs nicht zu reformieren, sondern zu blockieren drohe. Ausserdem gefährde Fillon die EU, den Service public und den sozialen Frieden im Land. Während Fillon vom Linksgaullisten zum stramm Konservativen mutierte, ist Juppé den umgekehrten Weg gegangen.

Er plädiert für eine «offene» Gesellschaftspolitik auch gegenüber den Immigranten aus den Ex-Kolonien, was ihm von rechts aussen den Übernahmen «Ali Juppé» eingebracht hat. Eine beträchtliche Rolle bei Juppés liberaler Metamorphose spielte seine zweite Ehefrau Isabelle, mit der er im Alter von 50 Jahren noch einer Tochter das Leben schenkte. Die um 16 Jahre jüngere Gattin korrigierte sein autoritäres, ja arrogantes Image, das in Juppés legendären Spruch gipfelte, er stehe «droit dans les bottes», aufrecht in den Stiefeln.

Die Franzosen haben ihm auch eine Finanzaffäre vergeben, in der er für Chirac den Kopf hinhielt und zu 14 Monaten bedingter Haft verurteilt wurde. Juppé ging darauf ins kanadische Professoren-Exil und kehrte geläutert zurück. In mehreren Ministerämtern erhielt er Bestnoten. Bis Sonntag glaubte er seine Präsidentschaftskandidatur in der Tasche. Jetzt muss er doch noch hart kämpfen. Es wird zweifellos der letzte Kampf einer 40-jährigen Politkarriere.

Primärwahlen: Sozialisten haben kaum Chancen

Am Sonntag findet in Frankreich der zweite Durchgang der konservativen Primärwahlen statt. Von sieben Kandidaten sind noch die Ex-Premierminister François Fillon und Alain Juppé übrig. Der Gewinner gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2017. In den Umfragen liegen sowohl Fillon wie Juppé klar vor den Kandidaten der extremen Rechte und der Linken. Am Donnerstag lieferten sie sich in einem Fernsehduell einen Schlagabtausch – und kritisierten dabei vor allem Präsident François Hollande.

Die Sozialisten wollen im Januar eigene Primärwahlen abhalten. Hollande, der auf
eine rekordtiefe Popularität kommt, will sich dem Vernehmen nach nächste Woche entscheiden, ob er nochmals ins Rennen steigt. Tritt Hollande nicht an, stünde sein Premier Manuel Valls bereit. Drei weitere Sozialisten, Emmanuel Macron, Arnaud Montebourg und Jean-Luc Mélenchon haben ihre Kandidatur erklärt.

Front-National-Chefin Marine Le Pen könnte im Frühling im ersten Wahlgang der Präsidentenwahlen zwar mit 30 Prozent der Stimmen am besten abschneiden. Mangels Allianzen wird es ihr aber kaum gelingen, in der Stichwahl eine Mehrheit zu erhalten.