In Smiths Falls nahe bei Ottawa wurde früher Schokolade im grossen Stil produziert. Jetzt werden in den Hallen Cannabis-Pflanzen gezüchtet – ein blühendes Geschäft.
Gerd Braune, Smith Falls
Auf langen Tischen stehen im Gewächshaus Hunderte Töpfe. Ein tropisches Paradies, hell ausgeleuchtet. Besser könnten die Bedingungen nicht sein. Es sieht aus wie in einer gewöhnlichen Gärtnerei. Wären da nicht die Frauen und Männer, die Haarnetz und zum Teil auch Mundschutz tragen, um die Blätter von den rund ein Meter hohen Pflanzen abzureissen.
Wer als Besucher nicht nur einen Blick durch die grossen Fenster werfen, sondern in das Gewächshaus hinein möchte, muss einen Schutzanzug tragen. Und ohne Chipkarte mit Sicherheitscode lässt sich die Tür sowieso nicht öffnen. Sicherheit und Hygiene werden grossgeschrieben. Denn in diesem Gebäude wächst ein kostbares Gut: Cannabis.
Das Gewächshaus gehört Tweed Inc., einem der grossen kanadischen Produzenten von medizinischem Marihuana. Hier in Smiths Falls, einem 9000 Einwohner zählenden Ort vor den Toren der kanadischen Hauptstadt Ottawa, haben Tweed und sein Mutterunternehmen Canopy Growth Corporation ihren Sitz.
Kanadas Cannabisindustrie steht vor einer Zeitenwende: Ab Sommer wird im ganzen Land auch der Konsum von Cannabis als Freizeitdroge zugelassen. Seit 2001 kann in Kanada Marihuana auf ärztliche Verschreibung hin legal konsumiert werden.
Canopy Growth und Tweed expanieren. In rund 30 Hallen wachsen auf rund 17 000 Quadratmetern Tausende Cannabispflanzen. Bald soll die Anbaufläche allein in Smith Falls doppelt so gross sein. Insgesamt hat das Holdingunternehmen Canopy mit seinen mehr als ein Dutzend Tochterunternehmen bereits rund 100 000 Quadratmeter lizenzierte Anbaufläche. «Mit den Erweiterungen streben wir langfristig 5,6 Millionen Quadratfuss Anbaufläche an», sagt Firmensprecher Jordan Sinclair.
Schwüle Hitze schlägt dem Besucher im Vegetationsraum entgegen. «Die Pflanzen brauchen für optimales Wachstum hohe Temperaturen und das richtige Mass an Luftfeuchtigkeit», erläutert Caitlin O’Hara, die durch die Hallen führt. Die Tweed-Mitarbeiter in ihren blauen T-Shirts oder weissen Kitteln sind dieses tropische Klima gewöhnt. Konzentriert betrachten sie jede einzelne Pflanze, entfernen, wo nötig, Blätter, so dass die Pflanzen kräftige Blüten entwickeln können. Aus den Lautsprechern erklingen die Melodien des Musicals «König der Löwen».
Angebaut werden Cannabis Sativa und Cannabis Indica sowie einige Kreuzungen. Cannabis ist der wissenschaftliche Namen für Hanf, der zu den ältesten Nutzpflanzen gehört. Aus den Fasern der Stängel können Seile gefertigt werden. Cannabis enthält aber auch zwei bedeutende Wirkstoffe, so genannte Cannabinoide – Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC). Sie sind vor allem in den Blüten enthalten. Sie sind der für die Produktion von Cannabiserzeugnissen wichtige Teil. Den Wirkstoffen werden krampf- und angstlösende sowie schmerzlindernde Wirkungen nachgesagt, und sie sollen helfen, Übelkeit zu unterdrücken, die unter anderem bei Krebstherapien auftreten. Vor allem der Wirkstoff THC hat aber auch die «psychoaktiven», euphorisierenden oder benebelnden Effekt.
Noch sind die meisten Wirkungen nicht in klinischen Tests bewiesen, aber es gibt deutliche Hinweise auf die positiven Wirkungen bei den Schmerzpatienten. Befürworter der Liberalisierung verweisen darauf, dass Cannabis eine ideale Alternative zu den schnell abhängig machenden Opioiden darstellen; in Kanada sterben jährlich mehrere hundert Menschen an Überdosen.
In der Lobby macht Alan Buker Mittagspause. An der Wand hängt das Schild «Hershey Canada Inc.» – ein historisches Relikt. Denn in den Hallen wurde früher ein anderes Konsumgut produziert: Schokolade. Als «Kanadas Schokolade-Hauptstadt» bezeichnete sich Smith Falls damals. «Wir hatten auf dem Höhepunkt der Produktion rund 600 Mitarbeiter», sagt Buker.
Der 51-Jährige war einer von ihnen, rührte Erdnussbutter zusammen und überzog Rosinen mit Schokoladeguss. 2007 gab Hershey den Standort auf. Fünf Jahre später kam Bruce Linton. Der CEO und Gründer von Canopy und Tweed suchte eine Produktionsstätte. Wenige Jahre später konnte der Anbau von Cannabis beginnen. Heute hat Tweed 350 Angestellte, weitere sollen dazukommen. «Unsere Gemeinde profitiert von dieser Entwicklung», meint June Forsyth. Sie arbeitet in dem Bereich, in dem getrocknete Cannabisblüten vakuumverpackt werden. Forsyth stellt einen Beutel auf eine Palette. Jeder Beutel enthält 600 bis 1000 Gramm. Bei dem in Kanada gängigen Preis von 10 bis 12 kanadischen Dollar pro Gramm hat ein Beutel einen Verkaufswert von 6000 bis 10 000 Dollar.
Im Verpackungsraum stehen Fläschchen mit Cannabisöl und Gläser mit Cannabiskapseln. «Sie gehören zu unseren populärsten Produkten. Wer Cannabis nicht rauchen will, der kann es in Kapselform einnehmen», erklärt Caitlin O’Hara. Langsam wachsen die Vorräte. Zur Jahresmitte will man bereit sein, den Markt zu beliefern. Alle Produkte werden in dieser gesicherten Halle aufbewahrt. «Sicher oder noch sicherer als ein Tresor in einer Bank», meint Caitlin, während sie die dicke Stahltür schliesst.