KAPSTADT: Südafrikaner wollen Medizingeschichte schreiben

In drei Monaten eröffnet in Kapstadt das erste Genomzentrum Afrikas. Das bilaterale Projekt zwischen Südafrika und China verfolgt ein ambitioniertes Ziel: Afrika als Patient der Weltgemeinschaft zu heilen.

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Hätte dieser Computer Nelson Mandela Kopfzerbrechen bereitet? Sein Leben lang betonte Südafrikas Staatsheld, dass alle Volksgruppen in der Regenbogennation gleichberechtigt seien. Das DNA-Sequenziergerät des Südafrikanischen Gesundheitsforschungsrats (SAMRC) braucht nur sieben Tage, um das Gegenteil zu beweisen. Zumindest was ihre Gesundheit angeht, sind die Südafrikaner verschieden. Weshalb erleiden Schwarze mit hö­herer Wahrscheinlichkeit einen Herztod, und warum infizieren sich Coloureds (sogenannte «Mischlinge») häufiger mit Tuberkulose? Das wollen die Wissenschafter am Kapstädter Genomzentrum, der ersten Einrichtung dieser Art am Kontinent, herausfinden. Ab Juni sollen in der staatlichen Forschungseinrichtung zwei Sequenzierer das Erbgut der Bevölkerung entschlüsseln; später bis zu zehn.

Weshalb die Pionierarbeit so wichtig ist? «Unser Kontinent verzeichnet die höchste Krankheitslast der Welt», sagt Rizwana Mia, Programmkoordinatorin am SAMRC. «Das Problem ist, dass in Afrika bisher keine präzise Genforschung stattgefunden hat, sowie sie kaukasische und westliche Länder seit vielen Jahren betreiben.» Die DNA von Europäern und Asiaten ist bekannt, die von Afrikanern grösstenteils unerforscht – das bereitet vor allem bei der medizinischen Versorgung Probleme. «Medikamente wurden nicht für den afrikanischen Markt entworfen. Sie wurden für kaukasische Volksgruppen zusammengesetzt, werden aber auch in Afrika angewendet», so Mia. Wie eng eine Krankheit und deren Therapie mit Genetik verwoben sind, zeige laut der Wissenschafterin ein Fall aus den USA: Bei einer Patientin mit Gallenblasenkrebs wollte die traditionelle Behandlung einfach nicht anschlagen. Daraufhin analysierten die Ärzte die DNA ihres Tumors und stiessen auf eine Mutation, die normalerweise Leukämie bei Kindern verursacht. Die Medikamente gegen Leukämie heilten schliesslich auch die Patientin. «Man muss seine Genetik kennen, um eine Krankheit effektiv zu behandeln», so Mia.

Therapien für genetische Schwachstellen

Am Kapstädter Genomzentrum will man künftig mit Forschungseinrichtungen am ganzen Kontinent und auch Pharmakonzernen zusammenarbeiten. Das gemeinsame Ziel: Therapien entwerfen, die gezielt auf die genetischen Schwachstellen von Afrikanern eingehen. «Es geht darum, wirksamere Medikamente zu entwerfen, aber auch besser Vorsorge treffen zu können», so Mia. «In unserem Genforschungszentrum können wir genetische Daten erstmalig lokal sammeln. Unser Gesundheitsministerium kann auf die Informationen zugreifen und besser auf Probleme im öffentlichen Gesundheitssektor oder bei Epidemien reagieren.»

Das Apartheid-Regime hatte bis in die 90er-Jahre Südafrikas genetische Vielfalt für seine Rassenideologe missbraucht. Ob Genforschung in einem Vielvölkerstaat auf der Suche nach Versöhnung nicht riskant sei? «Südafrika ist geprägt durch seine furchtbare Vergangenheit. Aber hier geht es nicht um unsere jüngere Geschichte, in der wir anhand von ethnischen Grenzen getrennt wurden.» Aus Sicht der Forscherin seien genetische Grenzen in Südafrika ohnehin durch Vermischung längst durchbrochen. Der Sklave aus Indonesien, der Händler aus Malaysia, der San-Buschmann aus der afrikanischen Steppe und der Siedler aus den Niederlanden – sie alle finden sich im Genpool der Südafrikaner. «Unser Land hat seine eigene genetische Identität entwickelt. Mit dem Zentrum wollen wir feststellen, wodurch wir uns von anderen Weltbürgern unterscheiden und wie die einzelnen Südafrikaner an der genetischen Vielfalt teilhaben.»

Markus Schönherr, Kapstadt