Startseite
International
Morgen wählen die Katalanen ein neues Regionalparlament. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Sezessionisten und Unionisten voraus.
Ralph Schulze, Madrid
Katalonien steht ein in jeder Hinsicht aussergewöhnlicher Wahltag bevor: Einige Kandidaten sitzen in Untersuchungshaft, wie etwa Oriol Junqueras, Spitzenmann der mächtigsten Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke). Andere, wie der separatistische Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, haben sich nach Belgien abgesetzt, weil sie in Spanien wegen Rebellion mit Haftbefehl gesucht werden; Puigdemont führt die Unabhängigkeitsliste Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) an.
Auch der Tag der Wahl ist ungewöhnlich: ein Donnerstag und kein Sonntag wie sonst üblich. Die Zeit drängte: Nachdem Madrid die Separatismusregierung Puigdemonts Ende Oktober wegen fortgesetzten Ungehorsams abgesetzt hatte, soll so schnell wie möglich eine neue Führung ins Amt kommen.
Es ist eine Schicksalswahl, bei der es um mehr geht als nur um eine neue Regierung: Katalonien, wo 7,5 Millionen Menschen leben, ist tief gespalten. Auf der einen Seite stehen die Sezessionisten, die bisher regierten und versucht hatten, die Region ohne Erlaubnis Madrids von Spanien abzuspalten. Auf der anderen Seite findet sich das Lager der Unionisten, das für ein einheitliches Spanien eintritt.
Die Abstimmung in der Vorweihnachtszeit könnte eine dicke Überraschung bringen: Erstmals seit Jahrzehnten hat eine prospanische Partei die Chance, die meisten Stimmen zu erringen. Die Umfragen der vier wichtigsten spanischen Zeitungen sehen übereinstimmend die liberale Partei Ciudadanos (Bürger) in der Wählergunst vorn – wenn auch nur knapp. An zweiter Stelle der Stimmungsbarometer folgt die Separatistenpartei Esquerra.
Die Erhebungen prognostizieren der Unabhängigkeitsbewegung also einen möglichen Verlust ihrer bisherigen Mehrheit im Parlament. Das wäre eine empfindliche Niederlage: Die Separatisten haben den spannungsgeladenen Wahlgang, bei dem eine Rekordbeteiligung erwartet wird, zu einem indirekten Referendum über die Abspaltung Kataloniens von Spanien erklärt.
Das von den Ciudadanos angeführte prospanische Lager kann derweil auf Stimmengewinne hoffen. Dies wird vor allem der selbstbewussten Vorsitzenden der Ciudadanos-Fraktion, Inés Arrimadas, zugeschrieben. Sie ist angetreten, um in dieser entscheidenden Wahl «die schweigende Mehrheit», wie sie es nennt, zu mobilisieren. «Das ist eine historische Gelegenheit, die Unabhängigkeitsbewegung zu besiegen», ruft sie.
Auch die für Spanien eintretenden Sozialisten könnten Boden gutmachen. Ihr Chef Miquel Iceta wirbt für «die Versöhnung der Katalanen». Die dritte Partei im prospanischen Bund ist die konservative Volkspartei des in Madrid regierenden spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die aber traditionell keine grosse Rolle in Katalonien spielt.
Nichtsdestotrotz dürfte eine Regierungsbildung schwierig werden. Eine der entscheidenden Fragen ist, ob sich der prognostizierte Stimmungswandel auch im Parlament in Barcelona, wo die absolute Mehrheit bei 68 der 135 Sitze liegt, niederschlagen wird. Durch das Wahlrecht wird das dünn besiedelte katalanische Hinterland, wo die Separatisten stark sind, bei der Sitzverteilung begünstigt. Sie könnten somit auch eine Mehrheit der Mandate erringen, ohne eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu haben.
Bei der Weichenstellung für die Zukunft Kataloniens dürfte eine kleine Partei eine grosse Rolle spielen, namentlich die linksalternative Liste Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam), die 8 bis 10 Prozent erringen könnte. Diese Liste, die der Protestbewegung Podemos (Wir können) nahesteht, setzt sich für einen «dritten Weg» ein: Comú ist nicht für die Abspaltung, sondern wirbt dafür, den Katalanen ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild zu erlauben.