KLIMA: Seine Macht ist sein Wissen

Acht Jahre war Al Gore US-Vizepräsident unter Bill Clinton. Seither ist der 69-Jährige ein globaler Umweltaktivist. Bald kommt der zweite Teil seiner oscarprämierten Klimadokumentation in die Kinos.

Andreas Wesche
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Al Gore (Mitte) unterhält sich im Dok-Film «Immer noch eine unbequeme Wahrheit» mit Opfern von Überschwemmungen auf den Philippinen. (Bild: Paramount Pictures)

Al Gore (Mitte) unterhält sich im Dok-Film «Immer noch eine unbequeme Wahrheit» mit Opfern von Überschwemmungen auf den Philippinen. (Bild: Paramount Pictures)

Andreas Wesche

Rekordfluten in den USA, Indien und Pakistan, Bergstürze in der Schweiz und abbrechende Eisberge: Die Folgen der globalen Erwärmung sind allgegenwärtig. Vor elf Jahren widmete sich die mit dem Oscar prämierte Dokumentation «Eine unbequeme Wahrheit» dem Kampf des Aktivisten Al Gore gegen die Umweltverschmutzung. Darüber hinaus zeichnete der Film den Werdegang des demokratischen US-Politikers nach, der acht Jahre lang Vizepräsident unter Bill Clinton war und dessen eigene Wahl zum Staatsoberhaupt trotz Stimmenmehrheit am Wahlsystem scheiterte. Nun wird der ­Dokumentarfilm fortgesetzt. «Immer noch eine unbequeme Wahrheit» blickt erstaunlich optimistisch in die Zukunft.

Al Gore, wie kann es sein, dass der Klimawandel heute noch geleugnet wird?

Upton Sinclair, ein hervorragender US-Autor und Journalist, hat vor mehr als hundert Jahren den Ausspruch geprägt: «Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Einkommen davon abhängt, dass er es nicht versteht.» Ich glaube, dieses Element bekräftigt viele Menschen in ihrer Leugnung. Aber diese Leugnung beginnt zu erodieren. Von manchen Leugnern des Klima­wandels habe ich allerdings den Eindruck, sie verfügen über einen eingebauten Teleprompter, auf dem die «Fox News» in Dauerschleife laufe.

Inwiefern war die Wahl Donald Trumps ein Rückschritt für Ihre Arbeit?

Es ist ein wenig wie in diesen alten Horrorfilmen wie «Warte, bis es dunkel wird». Der Bösewicht schien schon besiegt und steht plötzlich wieder auf. Es liegt an uns allen, das Ende dieses Films zu schreiben. Es gibt für jede Aktion eine passende Gegenreaktion. Trump inspiriert mit seinen absurden Äusserungen über das Klima eine sehr starke Reaktion. Ich denke, er hat sich selbst ­isoliert.

Sie haben Präsident Trump wiederholt getroffen. Mit welchen Resultaten?

Ich habe die Vertraulichkeit dieser Gespräche stets gewahrt. Ich glaube, das ist angemessen. Nur so viel: Ich habe Grund, an die exzellente Chance zu glauben, dass er im Pariser Abkommen verbleibt.

Das Klimaschutz-Übereinkommen von Paris spielt im Film eine zentrale Rolle.

Dem ehemaligen französischen Präsidenten Hollande gebührt wesentlich mehr Anerkennung, als er sie von Frankreich und der Weltgemeinschaft erfahren hat. Es war äusserst beeindruckend, wie Frankreich diese Konferenz organisiert hat. Man hat alle Register gezogen.

Ist es der Kapitalismus, der die Schuld am Klimawandel trägt?

Eine Interpretation des 20. Jahrhunderts ist, dass die Alternativen zum Kapitalismus auf der linken und der rechten Seite zu extremen und ernsthaften Pro­blemen führen. Nicht zuletzt, was die Verletzlichkeit der Freiheit des Individuums angeht. Ausserdem haben sie der Umwelt grossen Schaden zugefügt. Für mich liegt die Herausforderung darin, den Kapitalismus zu reformieren. Eine dieser systemischen Veränderungen wäre es, den Kohlenstoffausstoss mit Strafzahlungen zu belegen. Eine andere Veränderung bestünde darin, darauf zu bestehen, dass die Regierung keine fossilen Brennstoffe mehr subventioniert.

Sie selbst sind ein reicher Mann. Sehen Sie sich als ­Kapitalist des linken Flügels?

Dieses spezielle Etikett habe ich mir noch nie angeheftet. Bei meinen geschäftlichen Aktivitäten konzentriere ich mich auf das Vorantreiben eines zukunftsfähigen Kapitalismus. Ich prüfe jedes Geschäftsszenario auf Nachhaltigkeit.

Ein indischer Politiker sagt im Film zu Ihnen, dass sich der Wohlstand der Vereinigten Staaten auf fossilen Brennstoffen gründe. Und er fragt, warum Sie ihn jetzt auffordern, anders zu handeln.

Das ist ein nachvollziehbarer Standpunkt, oder? Das Land leidet unter extremer Armut. Und man ist zu dem Entschluss gelangt, dass es wohl das Beste wäre, genau jene Wege zu beschreiten, die Westeuropa und die USA seinerzeit beschritten haben. Es ist einfach, das zu verstehen. Aber so hat man in Indien eine kritische Luftverschmutzung herbeigeführt. Sie rührt von den Verbrennungsrückständen fossiler Brennstoffe her, die dort in grossem Masse zur Anwendung kommen. Jetzt steht man auch vor einer politischen Krise, weil Angehörige der neuen Mittelklasse die Luftverschmutzung satthaben.

Sie erreichen die Menschen auf einer emotionalen Ebene. Sehen Sie sich eher als Lehrer oder als Prediger?

Ich rede nicht viel über meine ­religiösen Überzeugungen. Aber natürlich bilden sie einen Teil des Fundaments meines moralischen Systems und meiner Weltsicht. Ich sehe mich selbst weder als Lehrer noch als Prediger, sondern vielmehr als Anwalt und Aktivist. Ich bin in der protestantischen Kirche aufgewachsen und habe vielen Predigern zugehört. Vielleicht verfalle ich deshalb ­gelegentlich unfreiwillig in einen solchen Tonfall. (lacht)

Wo wäre der Umweltschutz heute, wenn Sie US-Präsident geworden wären?

Über alternative Geschichtsverläufe nachzudenken macht sicherlich Spass. Aber es ist meistens nicht sehr produktiv. Ich war Vizepräsident, und ich habe Präsident Clinton davon überzeugt, in den ersten Haushalt, den wir dem Kongress vorgelegt haben, eine Steuer auf Kohlenstoffausstoss einzubringen. Sie hat das Repräsentantenhaus passiert, wurde aber vom Senat abgelehnt. Natürlich ist es ein schöner ­Gedanke, dass ich als Präsident mehr Einfluss auf die Lösung der Klimakrise gehabt hätte.

Ist es an der Zeit, einen internationalen Gerichtshof für Umweltfragen zu schaffen?

Eine interessante Idee. Ich bin der Meinung, dass das Polarmeer für die Ölförderung tabu sein sollte. Zwei Drittel des Kohlenstoffausstosses gehen auf das Konto multinationaler Konzerne, und eine Überwachung kann schon heute nicht gewährleistet werden. Aber ich bezweifle ernsthaft, dass das globale, politische System bereits ein Level erreicht hat, dass die Einrichtung eines entsprechenden Gerichtshofes ermöglichen würde.

Was braucht man, um ein erfolgreicher Aktivist zu sein?

Wissen ist Macht. Man muss es aber mit Empathie und Leidenschaft kombinieren.