Die Moskauer Militärshow zu Ehren des Weltkriegsendes zeigt nicht nur Putins verqueres Geschichtsbild auf, sondern auch sein propagandistisches Genie.
Dass Wladimir Putin ein verqueres Geschichtsverständnis hat, das hat er x-fach bewiesen. Spätestens seit gestern aber wissen wir: Immerhin eine historische Figur hat der Kreml-Herrscher genaustens studiert – und bei der gestrigen Parade zu Ehren des Weltkriegsendes in ihrer Kreativität fast noch übertroffen. Der von Putin Übertroffene: Grigori Potemkin, einst enger Berater und Liebhaber der russischen Zarin Katharina der Grossen.
Potemkin waltete im 18. Jahrhundert als Gouverneur in Südrussland. Als seine Chefin sich für eine Dienstreise anmeldete, liess der findige Mann entlang der Reiseroute der Zarin durch die verarmte Region pompöse Holzfassaden aufstellen. Die Zarin war beeindruckt, Potemkin fein raus – und die Bevölkerung so mausarm wie eh und je.
An diese Anekdote aus der dunstigen russischen Geschichte fühlte sich unweigerlich erinnert, wer gestern die Militärparade in Moskau mitverfolgte. Putins Ansprache vom siegreichen Kampf gegen die Nazis in der Ukraine und der Aufmarsch von zehntausenden stramm stehenden Uniformierten in mehr als zwei Dutzend russischen Städten vermittelte den Eindruck einer fitten, ehrenvollen Nation mit einer schlagkräftigen Armee.
Putins Potemkin’sche Parade vermochte wohl die Geblendeten in seinem Land über die bittere Kriegsrealität in der Ukraine hinwegtäuschen. Für die Opfer seines Krieges war sie aber genauso sehr ein Hohn wie für die Bataillone von jungen Männern, die für seinen Wahn nicht nur ihre Ehre, sondern oft auch ihr Leben lassen müssen.