Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im Prozess gegen die rechtsterroristische NSU, muss lebenslang ins Gefängnis. Dennoch fällt das Echo auf das Urteil überwiegend kritisch aus.
Beate Zschäpe, die 43-jährige Hauptangeklagte im Prozess gegen den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), muss lebenslang hinter Gitter – das ist das Verdikt des Oberlandesgerichtes (OLG) München nach mehr als fünfjährigem Prozess. Die Richter haben die besondere Schwere der Tat festgestellt. Zschäpe wird demnach nach 15-jähriger Haft nicht mit einer Bewährung rechnen dürfen. Damit folgte der OLG-Senat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl zu weiten Teilen der Forderung der Bundesanwaltschaft.
Auf das Konto des NSU-Trios – bestehend aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe – gehen zehn Morde. Neun Migranten wurden regelrecht hingerichtet, eine junge Polizistin musste ebenfalls sterben. Zudem zeichnet der NSU für 15 Raubüberfälle und ein Nagelbombenattentat in Köln mit mehr als einem Dutzend zum Teil Schwerverletzten verantwortlich. Obwohl Beate Zschäpe – nach aktuellem Erkenntnisstand – an keinem der Tatorte anwesend gewesen war, wurde sie nun wegen Mittäterschaft verurteilt.
Das Gericht spricht der aus Jena stammenden Zschäpe – nach der mutmasslichen Selbsttötung Böhnhardts und Mundlos’ die einzige Überlebende des NSU – eine massgebliche Rolle in der Terrorzelle zu. Ohne ihr Mitwirken und ihre Unterstützung hätten die ebenfalls aus Jena stammenden Neonazis Böhnhardt und Mundlos die Morde nicht begehen können. Zschäpe beteuerte in ihrem Schlusswort Anfang Juli, sie habe von den Morden immer erst im Nachhinein erfahren. Sie zeichnete von sich das Bild einer in Abhängigkeit zweier Neonazis geratenen Frau, die nicht die Kraft aufgebracht hatte, den NSU zu verlassen. Die Verteidigung von Beate Zschäpe kündigte Revision gegen das Urteil an.
Das Gericht sprach auch Urteile gegen vier Mitangeklagte. Einige der NSU-Unterstützer sind mit vergleichsweise milden Strafen von wenigen Jahren Gefängnis davongekommen oder dürfen nach jahrelanger Untersuchungshaft mit baldiger Freilassung rechnen. Das rief ebenso Kritiker auf den Plan wie die Tatsache, dass nach dem Mammut-Prozess viele Fragen offen bleiben. Nach wie vor unklar ist etwa, ob der NSU tatsächlich nur aus drei Personen bestanden hatte – oder ob das rechtsterroristische Netzwerk weit grösser war und viele Täter noch auf freiem Fuss sind. Auch die Rolle des Verfassungsschutzes wurde am Mittwoch abermals kritisch erwähnt.
Dieser hatte über Jahre mehrere V-Männer in der rechtsextremen Szene. Dennoch ist man dem Trio nicht auf die Spur gekommen – im Gegenteil: Ins Visier der Behörden gerieten nach den Morden die türkischen Familien und Bekannten der Opfer, da die Polizei von «Milieu-Morden» ausgegangen war. Aus bis heute ungeklärten Gründen hat der Verfassungsschutz kurz nach Auffliegen des NSU im Herbst 2011 mehrere Akten mit Erkenntnissen aus der rechtsextremen Szene geschreddert. Der türkische Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu forderte am Mittwoch daher weitere Ermittlungen: «Obwohl die Angeklagten zugegeben haben, Unterstützung speziell vom Geheimdienst und vom Staat im Staate erhalten zu haben, wurde nicht aufgeklärt, wer diese Personen oder Institutionen sind», kritisierte Çavuşoğlu am Rande des Nato-Gipfels in Brüssel. Daher reiche es nicht, «nur die Hauptangeklagte und die anderen Angeklagten» zu verurteilen. «Wer steckt hinter diesen Morden? Wer vom Geheimdienst steckt dahinter?», fragte Çavuşoğlu in einem Interview mit dem türkischen Staatssender TRT.
Über die Revision gegen das Urteil gegen Beate Zschäpe und eines Mitangeklagten muss nun der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.
Das Verfahren gegen den NSU wird Deutschland demnach noch längere Zeit beschäftigen. Der NSU-Prozess gilt als der wichtigste deutsche Strafprozess der Nachkriegsgeschichte gegen Rechtsterrorismus. Die «Süddeutsche Zeitung» hatte die Dimension des Prozesses unlängst gar mit den Nürnberger Prozessen gegen die Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges verglichen. Er ist mit 438 Verhandlungstagen auch einer der längsten. Bislang kostete das Verfahren ca. 66 Millionen Euro.