La Palma
Kanaren: Touristen nach Vulkanausbruch evakuiert, Lavaflüsse verschlingen ganze Häuser – so lief die Nacht nach der Eruption

Das Cumbre Vieja Gebirge spuckt weiter Feuer, Lavaströme wälzen sich die Hänge herunter. Während Tausende evakuiert werden, träumt Spaniens Tourismusministerin von der Vermarktung des Ausbruchs.

Ralph Schulze, Madrid
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Rauch über dem Cumbre Vieja: Die Gebirgskette spuckt seit Sonntag Feuer.

Rauch über dem Cumbre Vieja: Die Gebirgskette spuckt seit Sonntag Feuer.

Jonathan Rodriguez / AP

«Der Lavastrom verschlingt alles, was er auf seinem Weg findet», berichtet Sergio Rodríguez, der Stadtpräsident von El Paso. Seit dem Vulkanausbruch am Sonntagnachmittag im Südwesten der Kanareninsel La Palma wälzen sich mehrere Lavazungen vom Kraterrand in etwa 800 Meter Höhe den Berghang hinunter. Sie begraben Häuser, Strassen, zurückgelassene Autos und Plantagen unter sich.

Bis zum Montagnachmittag gab es keine Berichte über Tote oder Verletzte. Die Behörden hatten bereits Stunden vor der Eruption, die sich in den letzten Tagen durch Tausende kleinere Beben ankündigte, mit der Evakuierung des überwiegend ländlichen Gebietes begonnen. Mehr als 5000 Personen, darunter auch annähernd 1000 Touristen, wurden in Sicherheit gebracht.

Ein Rauchpilz von 1000 Metern Höhe

Auch am Montag, 24 Stunden nach dem Ausbruch, spuckte das Vulkangebirge Cumbre Vieja (Alter Gipfel) weiterhin Feuer und schleuderte flüssige Lava, Gesteinsbrocken und Asche in die Luft. Bisher konnten die Geologen einen Hauptkrater und bis zu zehn Nebenschlote ausmachen. Über dem Gebirgszug sind mehrere bis zu einhundert Meter hohe Lavafontänen sichtbar. Darüber bildete sich ein riesiger Rauchpilz, der inzwischen eine Höhe von mehr als 1000 Meter erreichte.

«Der grösste Lavastrom ist inzwischen mehr als 50 Meter breit und hat eine Höhe von 15 Metern erreicht», sagt Stadtpräsident Rodríguez. Die flüssige Vulkanmasse, die mit mehr als 1000 Grad aus den Vulkanöffnungen quillt, sei dickflüssig und wälze sich langsam Richtung Meer. Die Lavazungen, die auf ihrem Weg über die Erdoberfläche immer mehr erkalten, bewegen sich mehrere hundert Meter pro Stunde vorwärts. Es wurde erwartet, dass der Lavafluss am späten Montagabend das Meer erreicht.

In den Orten El Paso (8000 Einwohner) und Los Llanos de Aridane (21'000 Einwohner), deren Ausläufer bereits am Montagmorgen von der Lavalawine erreicht wurden, verschwanden bereits weit mehr als hundert Häuser unter der vorrückenden flüssigen Gesteinsmasse. Auf TV-Bildern sieht man, wie die zähflüssige Lava Mauern plattwalzt, in Wohnräume eindringt und Weinberge sowie Bananenanpflanzungen unter einer dampfenden grau-schwarzen Masse verschwinden lässt.

«Die Lage ist dramatisch»

sagt eine Rathaussprecherin von Los Llanos. «Es gibt keine Möglichkeit, die Lava aufzuhalten oder umzuleiten.» Etliche Menschen, die von der Landwirtschaft oder vom Tourismus leben, hätten bereit ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Auch ein Schulgebäude sei inzwischen von der Lava weggerissen worden. Man könne nur hoffen, dass sich der Vulkan möglichst bald wieder beruhige. Doch wann das sein wird, weiss niemand genau.

Letzter Ausbruch liegt 50 Jahre zurück

Der letzte Ausbruch in der Vulkankette Cumbre Vieja ist ziemlich genau 50 Jahre her. Ende Oktober 1971 hatte das Gebirge, das als aktivste Vulkanzone auf allen Kanarischen Inseln gilt, 24 Tage lang Feuer gespuckt. Dann versiegte der Lavastrom, der etwa 30 Kilometer vom neuen Eruptionsort aus der Erde gequollen war. Und der Berg verfiel wieder in einen langen Schlaf. Auch wenn es in seinem Inneren, kilometertief unter der Erdoberfläche, immer noch brodelte.

Die 56 Jahre alte María hat die letzte Vulkankatastrophe noch miterlebt. Sie war damals sechs Jahre alt. Nun steht sie auf der Dachterrasse ihres Hauses in Los Llanos und beobachtet die Lawalawine, die in Sichtweite den Berg hinunterkommt. «Ich habe Angst», sagt sie einem Reporter der Nachrichtenagentur Efe. Das mit den notwendigsten Habseligkeiten vollgepackte Auto steht vor der Tür. Auch sie muss mit ihrem Mann nun die Flucht ergreifen. Genauso wie es bereits ihre Nachbarn machten. Alles hinter sich zu lassen, ohne zu wissen, ob man das Haus jemals wiedersehen werde, sei grausam.

Am Montag wurde die Zone rund um die Vulkankrater und um die Lavazungen herum weiträumig abgeriegelt. Mehr als 1000 Polizisten, Feuerwehrmänner, Soldaten und freiwillige Helfer errichteten einen Sperrgürtel im Umkreis von zwei Kilometern um die Gefahrenzone. Damit sollen vor allem Schaulustige davon abgehalten werden, sich für ein Erinnerungsfoto dem Vulkan zu sehr zu nähern.

Touristen versuchen in die Nähe des Vulkans zu gelangen

Seit dem Ausbruch sind Karawanen von Vulkantouristen unterwegs, um das spektakuläre Naturschauspiel möglichst aus der Nähe abzulichten. Verstopfte Strassen machen den Rettungskräften das Leben schwer. «Bitte bleiben Sie zu Hause», appellierten die Behörden an die Menschen. Schon bei der letzten Eruption vor 50 Jahren war die Sensationslust zwei Menschen, die den Kraterrand erklimmen wollten, zum Verhängnis geworden. Sie starben an Rauchvergiftung.

Dies hielt Spaniens Tourismusministerin Reyes Maroto am Montag aber kurioserweise nicht davon ab, mitten in der Katastrophe den Vulkanausbruch auf La Palma als Chance zu bezeichnen, um den Inseltourismus anzukurbeln. Das sei eine willkommene «Werbung», damit Touristen kommen, um dieses Naturschauspiel zu bewundern, sagte sie. Die Insel, in dessen Süden der Vulkan brodelt und wo gerade Hunderte Urlauber evakuiert werden mussten, sei weiterhin für den Tourismus geöffnet.