Eigentlich sollen die Flüchtlinge in Griechenlands erstem «Hot Spot» besonders schnell aufgenommen und von dort in die EU-Länder verteilt werden. Nach nur einem Monat ist das Lager jedoch bereits «vorübergehend geschlossen».
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Chrissi Wilkens, n-ost, Moria
«Wir sind schockiert über die Umstände hier», sagt eine junge, erschöpft wirkende Syrerin. Vor wenigen Tagen ist die Frau über das Mittelmeer nach Lesbos gekommen. Die Insel in der Ägäis ist ein Hauptankunftsort von Flüchtlingen: Von den über 550 000 Schutzsuchenden, die allein in diesem Jahr nach Griechenland gelangten, strandete jeder fünfte auf Lesbos.
Wer die gefährliche Überfahrt überlebt hat und registriert worden ist, soll in dem ersten sogenannten Hot Spot Griechenlands untergebracht werden, der Mitte Oktober bei dem Dorf Moria auf Lesbos eröffnet wurde. Von dem Konzept, das derzeit in der Pilotphase ist, erhofft sich die EU viel: Ziel ist es, Flüchtlinge gleich an der EU-Aussengrenze aufzunehmen und dann direkt in andere EU-Länder zu verteilen. Doch die Realität sieht anders aus.
Mehr als 2500 Menschen können in Moria binnen 24 Stunden registriert werden. Doch oft kommen mehr als 5000 Flüchtlinge täglich an. Behörden und Hilfsorganisationen sind überfordert. «Alle bisherigen Erwartungen, dass jetzt im Herbst weniger Menschen ankommen, haben sich nicht bestätigt», so Dimitris Amoutzias, stellvertretender Lagerleiter.
Auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne warten Kinder, Schwangere, ältere Menschen, Kriegsverletzte und Menschen mit Behinderungen oft tagelang in der Kälte, in der Nässe und in Müllbergen auf ihre Registrierung. Doch ins eigentliche Hot-Spot-Lager gelangen die Flüchtlinge auch dann nicht. Weil der Staat sie dort derzeit nicht mit Essen versorgen kann, ist der Hot Spot bis auf weiteres für die Menschen geschlossen. Sie müssen in der Regel ausserhalb in Zelten, Containern oder Notunterkünften ausharren. Manche decken sich mit Kartons und Müllsäcken zu. Einige verbrennen Plastik, um sich zu wärmen. Sie hoffen auf Mahlzeiten von Hilfsorganisationen, um nicht zu verhungern. Immer wieder gibt es Spannungen und Gedränge. Aktivisten berichten unter anderem von Flüchtlingen, die wegen der Tränengaseinsätze der Polizei Atemprobleme bekommen.
Immer wieder besuchen hochrangige Politiker den Ort – am Donnerstag etwa der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Freiwillige versuchen Tag und Nacht, den Flüchtlingen zu helfen. Mehr als 80 Organisationen sind auf der Insel aktiv. Der UNO-Flüchtlingsrat hat 62 Notunterkünfte vor dem Lager bereitgestellt, wo maximal acht Personen hineinpassen, sowie ein grosses Zelt. Doch die Situation in Moria bleibt katastrophal, betonen Experten. «Die Menschen stehen im Dreck, das ist die Realität. Wenn dies ein Hot Spot ist, dann will man hier praktisch Dritte-Welt-Verhältnisse schaffen, um die Leute abzuschrecken», vermutet der Europareferent der Organisation Pro Asyl, Karl Kopp.
Seit Anfang der Woche sitzen Tausende Flüchtlinge fest, weil sie wegen eines mehrtägigen Streiks der Seeleute nicht aufs Festland reisen können. Während täglich Tausende von Schutzsuchenden trotz der schlechten Wetterbedingungen auf Lesbos ankommen, spült das Meer immer wieder leblose Körper von den Opfern der letzten Schiffsunglücke an. Laut Amnesty International sind in den ersten zehn Monaten dieses Jahres schon mehr als 454 Menschen in der Ägäis ertrunken.
Der Hot Spot in Moria ist der erste seiner Art in Griechenland, weitere sind geplant. Regierungschef Alexis Tsipras versprach laut der Nachrichtenagentur SDA, Griechenland werde die Registrierzentren einrichten. Eine endgültige Lösung sei dies aber nicht. Zudem schlug Tspiras weitere Hot Spots in der Türkei vor: Von dort aus könnten die Flüchtlinge direkt und sicher in Europa verteilt werden, ohne die gefährliche Überfahrt zu den griechischen Inseln unternehmen zu müssen. Von einer Öffnung der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei sieht Tspiras weiterhin ab.
Nicht nur Griechenland erprobt die Funktionalität von Hot Spots: Auch in Italien läuft ein Pilotversuch auf der Insel Lampedusa. Weitere Aufnahme- und Registrierungszentren sollen dort bis Jahresende eingerichtet sein und funktionieren.