Europäische Union
Libyen ist praktisch «die europäische Aussengrenze»

Kann sich der Islamische Staat in Libyen noch besser verankern, könnte er ganz Nordafrika aus dem Gleichgewicht bringen. Libyen versinkt im Chaos und droht Tunesien mitzureissen. Aber die EU-Chefs wollen sich nicht in den Konflikt ziehen lassen.

Fabian Fellmann, Brüssel
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IS-Kampf in Sirte, Libyen

IS-Kampf in Sirte, Libyen

Keystone

Für einmal sind alle Staats- und Regierungschefs der EU einer Meinung mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. «Wenn die Probleme in Libyen nicht gelöst werden, hat die Europäische Union insgesamt ein grosses Problem», sagte Merkel gestern am Schluss des EU-Gipfels.

Darum verdiene Libyen die «volle Aufmerksamkeit» der EU, halten die Gipfelteilnehmer in einer Erklärung fest. Sie rufen zu einer sofortigen Waffenruhe auf und verlangen von den rivalisierenden Gruppen in Tripolis und Tobruk, dass sie sich endlich zu einer Regierung der Nationalen Einheit zusammenraufen.

«Wenn sich der Islamische Staat in Libyen installiert, kann sich Europa nicht mehr in Sicherheit wähnen», sagte der französische Präsident François Hollande. Das hat mehrere Gründe. «Libyen ist praktisch die europäische Aussengrenze», sagte Hollande. 450 000 Libyer sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Hinzu kommen Zehntausende Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten, die via Libyen nach Europa übersetzen wollen. Allein im Januar sollen 3500 die riskante Reise gewagt haben.

Und da sind die Terroristen des IS, die sich erstmals im Oktober offiziell in Libyen zu erkennen gegeben haben. Inzwischen haben sie sich bereits so stark festgekrallt, dass sie von dort aus ihre Nachbarländer und Europa ins Visier nehmen. Die zwei Islamisten, die am Mittwoch in Tunis 20 Menschen töteten, haben laut Angaben von Offiziellen in Lagern in Libyen trainiert.

Der Islamische Staat hat die Urheberschaft des Attentats für sich reklamiert; ob das auch stimmt, ist jedoch noch nicht klar. «Wir haben schon vor langem Verbindungen nachgewiesen zwischen terroristischen Gruppen in Libyen und solchen in der Sahel-Zone sowie in Zentralafrika, besonders Boko Haram», sagte Hollande dazu. Kann sich der Islamische Staat in Libyen noch besser verankern, könnte er ganz Nordafrika aus dem Gleichgewicht bringen.

Militärische Intervention? – Nein!

Nur: So wortreich die Schilderung der Bedrohung für die EU ist, so karg nimmt sich deren Antwort darauf aus. Auf die Frage nach einem militärischen Eingriff antwortete Hollande wie aus der Pistole geschossen: «Nein.» Die EU suche eine politische Einigung. «Eine militärische Intervention von aussen steht nicht zur Debatte», sagte Hollande entschieden.

Auch der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat nur vergangene Woche kurz darüber nachgedacht, Soldaten zu schicken. Die Bewaffnung einzelner Gruppen lehnen die EU-Länder bisher ab, obwohl der libysche Armeechef Khalifa Haftar das verlangte: «Wir wollen nur Waffen und Munition. Männer haben wir genug, die Armee wächst mit jedem Tag.»

Die EU-Länder setzen aber mehr Vertrauen in die Mission des UNO-Sondergesandten Bernardino León. Dieser führt derzeit harzig verlaufende Gespräche zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Sei diese erst einmal an der Macht, werde die EU den libyschen Behörden bei der Terrorbekämpfung helfen, heisst es in den Schlussfolgerungen der EU-Chefs.