Nach einem Jahr im Amt gerät der französische Präsident in die politische Defensive. In einem hitzigen TV-Streitgespräch versuchte er, sich freizukämpfen.
Die Eingangsfrage gibt den Ton vor: «Sind Sie bloss ein Zauberkünstler, der aus dem Nichts der Geschichte aufgetaucht ist?», will der bekannte Radiointerviewer Jean-Jacques Bourdin von Emmanuel Macron wissen. Das ist schon fast ein Affront gegen den Staatspräsidenten, der in Frankreich einen quasimonarchischen Status geniesst und bisher durch eine unsichtbare Aura gegen freche Journalistenfragen gefeit war. Jetzt lässt Bourdin das obligate «Monsieur le Président» beiseite und nennt Macron nur beim bürgerlichen Namen. Um schon die nächste Frage loszulassen: «Unterliegen Sie nicht einer knabenhaften Allmachtsfantasie?»
So ging es am Sonntagabend fast drei Stunden auf dem TV-Sender BFM. Macron hatte das Interview selber anberaumt, um seine zunehmend umstrittene Reformpolitik zu rechtfertigen. Denn die Sozialproteste im Land reissen nicht ab: Eisenbahner streiken wochenlang, Studenten blockieren Universitäten und an den Spitälern gärt es. Knapp ein Jahr nach seiner Wahl ist der Präsident gleich an mehreren Fronten gefordert. Doch der 40-Jährige nimmt den Fehdehandschuh auf. Nein, er könne kein Geld aus dem Ärmel zaubern, entgegnet er.
Und nein: «Ich habe keine Allmachtsfantasie, aber ich glaube an Autorität.» Der zweite Journalist, Edwy Plenel vom linken Enthüllungsportal Mediapart, doppelt nach: «Wo bleibt die völkerrechtli- che Legitimität des von der Uno nicht genehmigten Militäreinsatzes in Syrien?» Oder: «Warum folgt Frankreich folgsam der Kriegsstrategie Trumps, dem es vor allem um eine Attacke gegen den Iran geht?» Macron kontert, der Luftschlag sei sowohl militärisch wie diplomatisch ein Erfolg: «In Moskau denkt man, die westlichen Regierungen seien Schwächlinge. Wir haben gezeigt, dass wir zu reagieren wissen.»
Doch schon unterbricht Plenel den Staatschef: «Warum beschliessen Sie einen Militärschlag, ohne das Parlament zu befragen?» So sehe es nun einmal die Verfassung vor, erwidert Macron: «Ich bin als Präsident oberster Armeechef.
Da hat Plenel schon in die Innenpolitik gewechselt: «In Paris steht der 50. Jahrestag von ‹Mai 68› vor der Tür – und Sie feiern das mit polizeilicher Repression?» Nun lässt sich auch Macron gehen: «Die Eisenbahner haben andere Anliegen als die Krankenschwestern oder Studenten. Wenn Sie das Gegenteil behaupten, sind Sie intellektuell unredlich.» Dann unterstellt er Plenel, der auf Mediapart die Mächtigen und die Minister blossstellt, selber bei den Steuern gemogelt zu haben. Der Angesprochene schiesst zurück: «Die Franzosen haben Sie 2017 nur gewählt, um die Extremistin Marine Le Pen zu verhindern.» Macron: «Ist das eine Frage oder ein Plädoyer?». Plenel: «Regen Sie sich nicht auf!» Macron: «Hören Sie auf, Dummheiten zu sagen. Sie sind nicht seriös, Herr Plenel.»
Schlag folgt auf Schlag. Bis nach 23 Uhr wogt der rhetorische Boxkampf. Die Reaktionen der Franzosen waren am Montag jedoch geteilt. Wenige loben Macrons Redekunst und Beherrschtheit. Auf dem Radiosender France-Inter hörte man: «Ein Präsident muss den Franzosen nicht nur mit Autorität kommen, sondern auch mit der menschlichen Wärme eines Landesvaters.» In der Zeitung «Le Figaro» meinte eine Leserin: «Der Präsident ist überzeugt, recht zu haben, und wollte seine intellektuelle Überlegenheit unter Beweis stellen. Damit steigert er aber nur noch die Unzufriedenheit all jener, die seine Strategie nicht verstehen.»
Wenn es Macron darum ging, auf der TV-Bühne «nahe bei den Leuten» zu erscheinen, wie seine Kommunikationsberater erklärten, scheint die Operation kaum geglückt. Ungewollt machte der heftige Schlagabtausch nur klar, wie gespannt die soziale Lage in Frankreich mittlerweile ist. «Ich mache mir Sorgen für die soziale Zukunft Frankreichs», beschloss die «Figaro»-Leserin ihren Beitrag.