Venezuelas Machthaber droht Oppositionsführer Guaidó und findet scharfe Worte für die «europäischen Eliten».
Venezuelas bedrängter Machthaber Nicolás Maduro hat mit harten Worten das Ultimatum zurückgewiesen, das ihm grosse europäische Staaten für die Einberufung von Neuwahlen gestellt haben. «Niemand kann uns Ultimaten stellen. Wenn jemand Venezuela verlassen will, soll er gehen», sagte Maduro am Sonntag. Die Forderung sei «arrogant», ergänzte der autokratische Herrscher. «Die europäischen Eliten spiegeln in keiner Weise die Meinung der Bevölkerung wider», behauptete er im türkischen Ableger des US-Nachrichtensenders CNN. Die Türkei ist einer der wenigen Alliierten, die Maduro in Europa noch verblieben sind.
Deutschland, Frankreich, Spanien, Grossbritannien und die Niederlande hatten am Samstag angekündigt, Oppositionsführer Juan Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen, sollte Präsident Maduro nicht innerhalb von acht Tagen Neuwahlen ausrufen. Dies hatte schon im UN-Sicherheitsrat zu Verwerfungen zwischen den USA und Russland geführt. Russland und China blockierten eine von den USA vorgeschlagene Erklärung zur Unterstützung Guaidós. Die Regierung in Moskau, die treu zu Maduro hält, beschuldigte die USA, einen Staatsstreich in dem südamerikanischen Land zu planen. Die Regierung in Washington hingegen beschuldigte Maduro, das venezolanische Volk zu unterdrücken. Sie stützen ganz offen den erst 35-jährigen Guaidó.
Maduro wirft den USA vor, Guaidó in Form eines sanften Staatsstreiches eingesetzt zu haben. Bestätigt sieht er sich darin, dass die Trump-Regierung keine fünf Minuten zögerte, den Oppositionsführer als legitimen Präsidenten anzuerkennen, als dieser sich am Mittwoch überraschend selbst kürte. «Diese Situation wird sich vor den Gerichten klären», sagte Maduro.
Jeder Tag, den Guaidó in Freiheit ist und wie ein alternativer Präsident auftritt, ist ein herber Rückschlag für die Macht von Staatschef Maduro. Für gewöhnlich macht der rabiate Regent mit aufmüpfigen Oppositionellen kurzen Prozess. Henrique Capriles, der zweimal unterlegene Präsidentschaftskandidat, ist mit einem Berufsverbot belegt. Leopoldo López, der Mentor von Guaidó und Anführer der Proteste von 2014, sitzt nach drei Jahren Haft nun im Hausarrest. Der ehemalige Hauptstadtbürgermeister Antonio Ledezma und Ex-Parlamentspräsident Julio Borges sind im Exil. Ganz anders Guaidó: Bisher wurde er nur einmal kurzfristig von Einheiten der politischen Polizei festgenommen, nachdem er zum Vorsitzenden des entmachteten Parlaments gewählt worden war. Es war eine Warnung. Offensichtlich fürchtet der Staatschef, das Volk könne sich gegen ihn erheben, sollte er auch Guaidó ins Gefängnis werfen wegen des Vorwurfs der Machtaneignung.
Unterdessen scheint die bisher geschlossene Front der Offiziere und Generäle zu bröckeln, die Maduro bisher an der Macht halten. Am Wochenende erklärte der Militärattaché an Venezuelas Botschaft in Washington, er erkenne Maduro nicht mehr als legitimen venezolanischen Staatschef an. Er fordere seine «Brüder» beim Militär auf, Guaidó als Interimsstaatschef zu unterstützen.
Unmittelbar nach Beginn des aktuellen Machtkampfs zwischen Opposition und Regierung in Venezuela hatten die Spitzen der Streitkräfte dem Staatschef ihre Treue versichert. Doch der Rückhalt für den umstrittenen Staatschef gilt unter den mittleren Rängen und einfachen Soldaten als deutlich schwächer.
Maduro rückte derweil von seinem 72-stündigen Ultimatum an US-Diplomaten zum Verlassen des Landes ab. Die beiden verfeindeten Staaten verhandeln nun über «Interessenvertretungen» in beiden Ländern. Solche Repräsentationen unterhielten die USA und Kuba, bevor sie 2017 wieder ihre diplomatischen Beziehungen herstellten.
Venezuela schreibt gerade ein weiteres Kapitel in seiner schier unendlichen Krisengeschichte. Es könnte das letzte Kapitel sein, in dem der autokratische Herrscher Maduro eine tragende Rolle spielt. Während annähernd zwei Jahrzehnten ist es der Opposition nicht gelungen, die Chavisten zu verdrängen. Der vor sechs Jahren verstorbene Hugo Chávez gewann Wahlen und Referenden mit links, sein Nachfolger Maduro hält sich nur mit Rechtsbeugung und Fälschungen an der Macht. Nie in seinen sechs Jahren war seine Macht so gefährdet wie jetzt.