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Es ist eine der schlimmsten Katastrophen, die Israel zu Friedenszeiten erlebt hat: An einem Pilgerfest im Norden des Landes starben in der Nacht zahlreiche Menschen. Yakov Plevisky bangt um seine Familienangehörigen.
«Für unsere Gemeinschaft ist dies ein besondere Tragödie, und dies ausgerechnet am glücklichsten Feiertag im Judentum», sagt Yakov Plevinsky aus der ultraorthodox geprägten Stadt Bnei Brak in der Nähe von Tel Aviv am Telefon. In der Nacht auf Freitag wurden bei Massenfeierlichkeiten ultraorthodoxer Jüdinnen und Juden am Berg Meron im Norden Israels mindestens 44 Menschen zu Tode gequetscht. Über 150 wurden verletzt. Es ist wohl eine der grössten Katastrophen, die sich zu Friedenszeiten in Israel ereignet haben.
Plevinski selber war, anders als in vergangenen Jahren, in diesem Jahr nicht dort, jedoch viele seiner Familienmitglieder und Freunde. Über seinen Onkel werde gesagt, dass er sich unter den Todesopfern befindet. Doch noch hat Plevinsky Hoffnung, dass es sich lediglich um ein Gerücht handelt. Viele der Toten sind durch die Quetschungen nur schwer zu identifizieren. Zahlreiche Familienangehörige waren Freitagvormittag noch nicht über den Tod von Angehörigen informiert.
Am Grab des Rabbis Schimon Bar Jochai, wo normalerweise an diesem Tag Zehntausende ultraorthodoxer Jüdinnen und Juden beten und tanzen und des Bar-Kochba-Aufstands im zweiten Jahrhundert nach Christus gedenken, herrscht nun gähnende Leere. Am Freitagvormittag wurde das Gelände vollständig evakuiert.
In der Nacht jedoch herrschte ein grosses Chaos. Eltern suchten ihre Kinder. Das Telefonnetz war überlastet, zumal viele der koscheren Handys, die Ultraorthodoxe häufig benutzen, besonders schlechten Empfang haben. Gleichzeitig klingelten ununterbrochen die Telefone der Toten mit Anrufen von Verwandten, berichtet der Sprecher der Zaka Hilfsorganisation.
Polizeiangaben zufolge wurde die Massenpanik verursacht, nachdem einige Feiernde dicht aneinander gedrängt auf den Stufen ausrutschten, die zum Grab Bar Jochais führen, und so einen Dominoeffekt auslösten.
Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen, um den Vorfall zu untersuchen. Viele kritisieren die Entscheidung der Polizei, als Coronavirus-Schutzmassnahme einen der Zugänge zu der Grabstätte geschlossen zu haben. Während die israelische Polizei die Vorwürfe zurückwies, übernahm der zuständige Polizeikommandant, Shimon Lavi, am Freitagmorgen die Verantwortung für die Katastrophe.
Die Versammlung am Berg Meron war die grösste Veranstaltung in Israel seit dem Ausbruch der Coronapandemie im vergangenen Jahr.
Im Vorfeld hatte es Unstimmigkeiten darüber gegeben, ob die Festivitäten erlaubt werden sollten. Die Regierung hatte sich nicht darüber einigen können, ob die Feierlichkeiten eingeschränkt werden sollten. Kritiker warfen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, seine ultraorthodoxen Bündnispartner nicht mit Einschränkungen verärgern zu wollen. Beamte des Gesundheitsministeriums hatten jedoch die Israelis aufgefordert, nicht zum Berg Meron zu reisen, da sie befürchteten, die Feierlichkeiten könnten zu einer massenhaften Ansteckung mit dem Coronavirus führen.
Israels Oberrabbiner Israel Meir Lau, der ebenfalls bei den Feierlichkeiten anwesend war, blieb mit anderen führenden Rabbinern in Meron und sprach Psalmen für die Verwundeten
Netanjahu nannte den Vorfall «eine schreckliche Katastrophe» und reiste in den Norden. Auch Gesundheitsminister Juli Edelstein machte sich auf zum Spital der Stadt Safed, eine der heiligen Städte des Judentums, unweit von Meron.
Staatspräsident Reuven Rivlin twitterte, dass er die Entwicklungen mit grosser Besorgnis verfolge und für die Verletzten bete.
An Plevinskis Wohnung in Bnei Brak fahren derweil, wie er berichtet, ununterbrochen Fahrzeuge mit Lautsprechern vorbei, um für die Genesung der Kranken zu beten: «Es ist eine Katastrophe, an die man sich wohl noch viele Jahre erinnern wird.»