Der Unmut über die ständigen Provokationen von Innenminister Matteo Salvini wächst – auch innerhalb der italienischen Regierung. Nun sah sich Staatspräsident Sergio Mattarella zu einer Intervention genötigt.
Es war eine surreale Situation: Im Hafen von Trapani im Westen Siziliens lag während des gesamten Donnerstags die «Diciotti», ein Schiff der italienischen Küstenwache, vor Anker. An Bord befanden sich 67 Flüchtlinge, die in libyschen Gewässern vom privaten italienischen Versorgungsschiff «Vos Thalassa» von einem sinkenden Gummiboot gerettet und dann auf die «Diciotti» gebracht worden waren. Die Flüchtlinge durften aber nicht an Land gelassen werden: Innenminister Matteo Salvini hatte angeordnet, dass sie das Schiff nur in Handschellen verlassen dürften.
Als sich die Migranten noch auf der «Vos Thalassa» befanden, wollte Salvini dem italienischen Schiff das Anlegen in einem italienischen Hafen verbieten – die Geretteten hätten laut dem Innenminister der libyschen Küstenwache übergeben werden müssen, obwohl dies einer Verletzung des internationalen Non-Refoulement-Prinzips entsprochen hätte. Unter den Migranten, die sich davor fürchteten, in die libyschen Folterlager zurückgebracht zu werden, kam Unruhe auf. Als die Stimmung für die zehnköpfige Besatzung der «Vos Thalassa» bedrohlich wurde, rief der Kapitän die «Diciotti» zu Hilfe, welche die 67 Flüchtlinge an Bord nahm.
Daraufhin wollte Salvini sogar dem Schiff der eigenen Küstenwache das Einlaufen in einen heimischen Hafen verweigern. Als er einsehen musste, dass das Vorhaben lächerlich war, wollte er wenigstens sicherstellen, dass die Migranten noch an Bord verhaftet würden – als gewalttätige Meuterer. Er schickte Polizeibeamte auf das Schiff; andere Beamte befragten die Besatzung der «Vos Thalassa» zu den Vorfällen an Bord. Der Staatsanwalt von Trapani kam zum Schluss, dass die von einigen Migranten begangenen Straftaten – im Wesentlichen blosse Drohungen – für eine Inhaftierung nicht ausreichten.
Salvini liess die Flüchtlinge jedoch weiterhin nicht an Land – bis Staatspräsident Sergio Mattarella dem Spuk schliesslich am Donnerstagabend ein Ende setzte: Er rief Regierungschef Giuseppe Conte an und forderte ihn auf, die Show des Innenministers zu stoppen. Salvini habe einmal mehr seine Kompetenzen überschritten. Für die Zuweisung eines Hafens ist der Transportminister zuständig gewesen, die Küstenwache wiederum untersteht dem Kommando des Verteidigungsministeriums. Salvini habe auf deren Schiffen keine Befehlsgewalt. Und solange Italien noch ein demokratischer Rechtsstaat sei, entscheide auch im Belpaese die Justiz und nicht der Innenminister über die Frage, ob jemand verhaftet wird.
Dass ein Schiff der eigenen Küstenwache tagelang auf die Zuweisung eines Hafens warten muss und die Geretteten anschliessend während Stunden nicht an Land gehen können, hat es in Italien noch nie gegeben. Der Konflikt zwischen dem Rechtspopulisten Salvini und der Küstenwache wird denn auch immer gravierender. Schon vor einigen Tagen hatte der Innenminister die Einsatzzentrale der Küstenwache in Rom aufgefordert, auf SOS-Notrufe ausserhalb der italienischen Gewässer nicht mehr zu reagieren. Die Antwort des Kommandanten, Admiral Giovanni Pettorino, folgte prompt: «Wir werden weiterhin auf jeden Notruf antworten», erklärte er. Alles andere wäre eine grobe Verletzung des Seerechts und der Menschlichkeit.
Gegen 23 Uhr konnten die Flüchtlinge am Donnerstagabend dann endlich die «Diciotti» verlassen – ohne Handschellen. Gegen einige von ihnen wird Anzeige erstattet. Mattarella hat seine Intervention als «notwendig und unvermeidlich» bezeichnet, was in der zurückhaltenden Sprache des Staatspräsidenten bedeutete, dass seine Geduld am Ende war.
Auch unter dem Koalitionspartner, der Protestbewegung Cinque Stelle, wird der Unmut über die ständigen Provokationen und Kompetenzüberschreitungen Salvinis immer grösser. Ob die gelbe Karte des Staatspräsidenten den Innenminister dazu bringen wird, seine Dauerpropaganda etwas herunterzufahren, ist aber fraglich. Salvini zeigte sich über die Intervention Mattarellas «erstaunt» und bezeichnete die Nichtverhaftung der Migranten als «bedauerlich».