Am Nato-Gipfel dreht sich alles um den US-Präsidenten. Und nicht nur dort: Die amerikanischen Medien sind geradezu süchtig nach Donald Trump – obwohl sie ihm mehrheitlich ablehnend gegenüberstehen.
Seine Stimme klingt triumphal. «Es ist mitten in der Nacht», sagt Donald Trump zu den TV-Reportern auf einem Luftwaffenstützpunkt bei Washington. «Ihr habt jetzt wahrscheinlich die höchsten Einschaltquoten in der Geschichte des Fernsehens, die je um 3 Uhr erzielt wurden!» Der US-Präsident empfängt die beiden Amerikaner, die in Nordkorea als Geiseln gehalten wurden. Seine Aussage und die medienwirksame Inszenierung vor zwei Monaten verraten, worum es ihm wirklich ging: um die Show.
«Ihr habt jetzt wahrscheinlich die höchsten Einschaltquoten in der Geschichte des Fernsehens, die je um 3 Uhr erzielt wurden!»
US-Präsident Donald Trump
Trump, der Quotenbringer. Er weiss es, und die Journalisten wissen es. Solange die Kameras auf ihn gerichtet sind, zappt keiner weg. Wenn Trump im Titel steht, liest jeder weiter.
Gipfeltreffen mit Beteiligung eines US-Präsidenten waren seit je mediale Spektakel, aber bei Trump sind das bisweilen mehrteilige Shows, die der Dramaturgie einer Netflix-Serie gleichen. Das zeigt sich diese Woche beim Nato-Gipfel, wo Trump schon im Vorfeld mit Provokationen die Aufmerksamkeit auf sich zog und dann in Brüssel Angela Merkel frontal angriff. Es zeigt sich vor dem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin am Montag in Helsinki, das durch die Russland-Ermittlungen des FBI – es geht um eine mögliche Einmischung Moskaus in die letzten US-Wahlen – in den amerikanischen Medien seit Tagen seitenfüllende Berichte hergibt. Und das zeigte sich im Besonderen beim On-off-Treffen mit Kim Jong Un: zuerst die für Trump typischen Provokationen (er nannte Nordkoreas Diktator «little rocket man»), dann sein Einwilligen in ein Gipfeltreffen aus einem spontanen Reflex heraus, später seine Absage an Kim per Brief, den die «New York Times» als Faksimile auf der Frontseite abdruckte, und kurz darauf die Ankündigung, dass er sich nun doch mit Kim treffe.
Doch selbst an ganz normalen Tagen, ohne Gipfeltreffen und Breaking News, finden sich in jeder der beiden grossen Zeitungen «New York Times» und «Washington Post» mindestens zehn Artikel, die von Trump handeln. Frühstücksfernsehen, ob auf NBC, CBS oder den Newskanälen von CNN oder Fox, besteht fast ausschliesslich aus Trump. Jeder Tweet, den er am Morgen abschickt, wird eingeblendet, analysiert und in Diskussionsrunden besprochen.
Bei seinem Lieblingssender Fox ruft Trump auch mal ins Studio an und gibt ein Telefoninterview. Offensichtlich spontan tat er dies am Geburtstag seiner Frau Melania. Es war ein derart verrücktes und erratisches 30-minütiges Gespräch (über Pornodarstellerin Stormy Daniels, seine Anwälte, Nordkorea und schwarze Rapper), dass man als Zuschauer nicht anders konnte, als bis zum Schluss dranzubleiben. War das wirklich der US-Präsident und kein Comedian? Abends wurde das Interview dann in den Late-Night-Shows seziert. Wegzappen unmöglich.
Trumps mediale Gestaltungskraft geht über das Agenda-Setting hinaus. Er erfindet Begriffe, die in den Sprachgebrauch eingehen: Seine verschwörerische These, wonach die Bundespolizei FBI einen Spion in seine Wahlkampagne eingeschleust habe, nennt er «Spygate». 24 Tweets mit diesem Schlagwort schoss er an einem einzigen Wochenende ab. Missliebigen Politikern hängt er Etiketten an, die diese nicht mehr loswerden. «Crooked Hillary» (Crook bedeutet Gauner) ist das bekannteste, zurzeit macht «Sleepin’ Joe» (schlafender Joe) Furore – Trump nennt einen demokratischen Senator so, dessen Sitz bei den Wahlen im November wackelt. Diese ebenso kreativen wie bösartigen Attribute wirken, denn etwas ist immer dran. «Diabolische Brillanz» nennt der Historiker Jon Meacham dieses Talent.
Es ist eine seltsame Symbiose zwischen den Medien, die Trump mehrheitlich kritisch bis vernichtend beurteilen, und Trump, dessen «Fake-News»-Litanei in keiner Rede fehlt. Der Journalist Nicholas Kristof – er tritt als Kommentator für CNN auf und schreibt Kolumnen für die «New York Times» – formuliert es so: «Es ist suboptimal, einen Präsidenten zu haben, der Journalisten als Feinde des Volkes sieht. Aber jedes Mal, wenn er uns beschimpft, gewinnen wir mehr Abonnenten.»
Besuch im Newsroom der «Washington Post», einer einst kriselnden und jetzt aufblühenden Zeitung, die besonders furios gegen Trump anschreibt. Ein Bildschirm zeigt, welche Storys gerade am meisten gelesen werden: Trump, Trump, Trump. Der Chefredaktor ist ein vehementer Kritiker des Präsidenten, und er ärgerte sich masslos darüber, wie Trump in Davos von WEF-Gründer Klaus Schwab hofiert wurde (was er Schwab auch sagte). Bei der «Washington Post» rechnet man damit, dass Trump 2020 wiedergewählt wird. Das fände man schlimm. Aber es wäre gut fürs Geschäft.
Die Fixierung auf Trump nimmt nicht nur in den Medien beinahe pathologische Züge an, sondern auch bei seinen politischen Gegnern. Die Demokraten drohen in der öffentlichen Wahrnehmung zur Ein-Themen-Partei zu werden: zur Anti-Trump-Partei. Als sich vor wenigen Wochen in der Nähe von Boston 6000 Delegierte zum Parteikongress von Massachusetts versammelten, sah man reihenweise Autos mit Aufklebern wie «Resistance!» oder «Sexual harasser in chief – not my president!». Und in den Reden kam kein Name häufiger vor als das T-Wort. Lange sah es so aus, als würde der verhasste Präsident die Demokraten derart stark elektrisieren, dass diese bei den Zwischenwahlen im November die Republikaner schlagen und die Mehrheit im Kongress zurückerobern würden. Doch seit Anfang Jahr schmilzt der Vorsprung. Die zurzeit laufenden Vorwahlen zeigten in mehreren Bundesstaaten, dass Trump nicht nur seine Gegner mobilisiert, sondern auch die republikanische Basis. Dort ist die Zufriedenheit mit dem Präsidenten auf über 90 Prozent gestiegen. Einen Wert, der seit Einführung systematischer Umfragen erst ein Präsident je erreicht hat: George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001.
Bei den Demokraten sehen einige ihre Felle davonschwimmen und geben dabei den Medien die Schuld, die ja eigentlich auf ihrer Seite stehen: «Die Presse berichtet nur über Trump, wir Demokraten schaffen es nicht, unsere Botschaften – schädliche Steuersenkung, Krankenversicherung für alle – bekannt zu machen», klagte ein Kandidat.
Dass Donald Trump in den Umfragen besser abschneidet als zur Zeit seiner Wahl, erstaunt angesichts der sich häufenden Affären im Weissen Haus: Die Russland-Ermittlungen, die Entlassung von Ministern und Beratern, Sex-Skandale und der Streit mit eigenen Parteiexponenten wegen der neuen Zölle sollten dem Präsidenten eigentlich schaden. Würde man meinen. Tun sie aber nicht. Warum?
Einerseits wegen Trumps Talent, mit dauernd neu generierten News und Ablenkungsmanövern den Skandal vom Vortag aus den Nachrichten zu verdrängen. Das derart angerichtete Chaos scheint ihm zu nützen oder, wie es Grossbritanniens Aussenminister (und Ex-Journalist) Boris Johnson formulierte: «Ich bin mehr und mehr überzeugt, dass seine Verrücktheit Methode hat.»
Andererseits: It’s the economy, stupid! Die Wirtschaft in den USA läuft wie geschmiert, seit Trumps Amtsantritt wurden 3 Millionen neue Jobs geschaffen, die Arbeitslosigkeit ist auf ein 22-Jahre-Tief gefallen, die Quote der schwarzen Bevölkerung gar auf ein Allzeit-Tief. Das sei ihm zu verdanken, posaunt Trump. Und obwohl die meisten Ökonomen widersprechen, sehen es gemäss Umfragen viele Amerikaner tatsächlich so.
Zumindest was die Jobs in ihrer eigenen Branche betrifft, stimmen in diesem Punkt sogar die Journalisten zu: «Trump», räumt «New York Times»-Kolumnist Nicholas Kristof freimütig ein, «ist Teil unseres Geschäftsmodells.»
*Autor Patrik Müller erlebte die amerikanische Medienrealität in Boston, wo er sich in den letzten fünf Monaten aufhielt.