Der Papst erzielt bei den katholischen Amerikaner Beliebtheitswerte, von denen jeder Politiker nur träumen kann. Präsident Obama wird heute von Franziskus in Audienz empfangen. Für Obama dürfte seine Verbundenheit mit der Kirche ein Plus sein.
Über solche Zustimmungswerte würde sich jeder Politiker freuen. Volle 85 Prozent der amerikanischen Katholiken sehen Papst Franziskus in einem positiven Licht. Und 68 Prozent sagen, dass der bodenständige Argentinier eine Wendung zum Besseren für die Kirche sei. Dies ermittelte kürzlich das Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center.
Kein Wunder, überbieten sich Demokraten und Republikaner mit Lobeshymnen, sobald die Rede auf den Papst kommt. Mit seiner seelsorgerischen Botschaft fordere der Heilige Vater Menschen «aller Glaubensrichtungen, Ideologien und politischer Parteien» heraus, stellte kürzlich John Boehner fest, republikanischer Präsident des Repräsentantenhauses. Und seine Vorgängerin, die Demokratin Nancy Pelosi, sagte: «Papst Franziskus hat sein Versprechen gehalten, die Armen und die Bedürftigen zu schützen und Menschen beizustehen, die im Leben weniger Glück hatten als er.»
Idealtyp des «Herz-Jesu-Marxisten»
Washington wäre aber nicht Washington, wenn diese Zustimmungserklärungen nicht auch politisch motiviert wären. Für viele Demokraten verkörpert der neue Papst die Idealvorstellung eines «Herz-Jesu-Marxisten», eines Anhängers der christlichen Soziallehre: Ein Mann mit einem grossen Herzen, der gegen die Auswüchse des ungebändigten Kapitalismus kämpft.
Das macht ihn selbst für einen in der Wolle gewaschenen Sozialisten wie Bernie Sanders, Senator aus dem Kleinstaat Vermont, attraktiv. «Wir haben einen verlässlichen Alliierten auf unserer Seite», sagte Sanders, der Jude ist, vor einigen Monaten. «Und das ist der Papst.»
Republikaner wiederum schätzen an Franziskus seine Bodenständigkeit und seine Menschenliebe. Sie weisen zudem darauf hin, dass der Papst – erfrischende Akzente hin oder her – an der strikten katholischen Doktrin festhalte. So gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich Franziskus bald für die Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Eheschliessungen aussprechen wird.
Es sind solche Positionsbezüge der Kurie, die immer wieder zu Zusammenstössen zwischen der katholischen Hierarchie und dem Weissen Haus führen. So sorgte die Debatte über die Gesundheitsreform für massive Verstimmung. Die Kirchenführung sah in Obamacare gar eine Gefahr für die Religionsfreiheit, weil das Gesetz Verhütungsmittel in den Grundkatalog der Versicherungsleistungen aufnahm.
Mit der Audienz bei Papst Franziskus will Obama heute Donnerstag nun solche Streitereien vergessen machen und stattdessen die Verbundenheit zwischen ihm und dem Pontifex hervorheben. Die beiden Staatsmänner würden über den gemeinsamen Einsatz gegen die Armut und die wachsende soziale Ungleichheit sprechen, hiess es im Vorfeld des Gesprächs aus dem Weissen Haus.
Entgegenkommen dürfte Obama dabei seine alte Verbundenheit mit der katholischen Kirche. Als Sohn einer Ethnologin kam der Präsident bereits im zarten Alter mit den Weltreligionen in Kontakt. In Indonesien besuchte er Primarschulen, die katholisch und muslimisch geprägt waren. Er betete häufig und las zusammen mit seiner Mutter abends in der Bibel.
Schon damals war der spätere Präsident aber kopflastig und lehnte Frömmelei ab. Während der Gebete in der Schule habe er sich jeweils umgeschaut, um zu sehen, ob nun eine Schar Engel niederkommen werde, schrieb Obama in seinen 1995 publizierten Memoiren. Doch «nichts geschah».
«Sehr idealistisch und sehr naiv»
Dennoch war es die katholische Kirche, die Obama erste Trippelschritte als Menschenfischer ermöglichte. 1985 wurde der junge Afroamerikaner, ohne grossen Erfahrungsschatz aufzuweisen, in einem rauen Viertel von Chicago (Illinois) als Direktor der Organisation «Developing Communities Project» angestellt.
Für einen Jahreslohn von 10 000 Dollar – finanziert unter anderem durch katholische Kirchgemeinden – fasste der frischgebackene Sozialarbeiter den Auftrag, der frustrierten und verarmten schwarzen Bevölkerung eine neue Perspektive zu geben. Dabei sass Obama regelmässig mit katholischen Geistlichen zusammen.
«Er war sehr idealistisch», erinnerte sich sein damaliger Mentor, «und sehr naiv.» Der Erfolg des Sozialarbeiters Obama war bescheiden. Gegen Ende seines zweijährigen Gastspiels in Chicago entschloss er sich, einer protestantischen Kirche beizutreten. Zuvor hatte er sich lange gegen den Kirchenbeitritt gewehrt. «Ich bin gläubig», soll er gesagt haben, «aber ich will mich nicht aus Bequemlichkeit einer Kirche anschliessen.»