Griechenland
Nach dem Jubel warten harte Zeiten auf Tsipras

Alexis Tsipras kann seinen Triumph kaum geniessen – die EU sitzt ihm im Nacken und im Land ist die Stimmung schlecht.

Gerd Höhler
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Der Jubel des Siegers: Alexis Tsipras (links) mit Koalitionspartner Panos Kammenos.Dimitris Michalakis/Reuters

Der Jubel des Siegers: Alexis Tsipras (links) mit Koalitionspartner Panos Kammenos.Dimitris Michalakis/Reuters

REUTERS

Als die Hälfte aller Stimmen ausgezählt waren und der Wahlsieg seiner Linkspartei feststand, liess sich Alexis Tsipras auf direktem Weg zum Athener Klathmonos-Platz fahren. Dort befand sich die Syriza-Wahlkampfzentrale. Viel klarer als von den Meinungsforschern vorhergesagt, gestaltete sich sein Triumph. Unter frenetischem Jubel seiner fahnenschwenkenden Anhänger steigt der 41-Jährige aufs Podium: «Dies ist der grosse Sieg des Volkes», ruft er. «In ganz Europa sind die Griechen jetzt gleichbedeutend mit dem Kampf um Würde». Und dann, in einer fast lyrischen Anwandlung: «Wir heben die Sonne der Hoffnung über unser Griechenland».

Populisten unter sich

Während Tsipras den Applaus seiner Fans entgegennimmt, bahnt sich unten schwitzend ein korpulenter Mann mit handfester Hilfe seiner Bodyguards einen Weg durch die Menge: Panos Kammenos, der Chef der Unabhängigen Griechen (Anel). Er hat noch mehr Grund als Tsipras, sich ausgiebig zu freuen: Entgegen vieler Prognosen schaffte seine Partei doch wieder den Sprung ins Parlament. Wäre Kammenos an der Dreiprozenthürde gescheitert, hätte das für ihn das politische Aus bedeutet. So aber ist er, wenn auch nur mit einem Zehntel der Syriza-Stimmen, erneut Griechenlands Königsmacher. Kammenos erklimmt das Podium, er und Tsipras fallen sich in die Arme. Damit ist die Neuauflage der Koalition des Linksbündnisses Syriza mit den Rechtspopulisten besiegelt. So formlos geht das in Griechenland.

Neben dem einen Kopf grösseren, massigen Kammenos wirkt Tsipras auf der Bühne fast ein wenig verloren. Aber in der Koalition wird er auch künftig, wie bisher, den Ton angeben. Nach dieser Wahl ist Tsipras mehr denn je der unbestrittene Hauptdarsteller auf der politischen Bühne des Lands. Der linksextreme Syriza-Flügel hat die Amputation von der Partei nicht überlebt. Seiner schärfsten Kritiker hat sich Tsipras damit entledigt. Der konservative Oppositionschef Vangelis Meimarakis hat einen politisch wertlosen Achtungserfolg erzielt, mehr nicht. Und Tsipras Lieblingspartner Kammenos ist wieder im Parlament. Sein Schicksal wird jetzt mehr denn je von seinem Wohlverhalten in der künftigen Koalition abhängen. Kammenos ist zwar immer gut für nationalistische Eskapaden und diplomatische Ausrutscher, aber Widerworte hat Tsipras von ihm nicht zu erwarten.

Das Bündnis der Linksradikalen mit den Rechten sorgte schon bei der ersten Auflage dieser Koalition im Januar in Europa für viel Kopfschütteln. Tatsächlich gibt es zwischen beiden Parteien erhebliche ideologische Differenzen, nicht zuletzt in der Migrationspolitik. Was Tsipras und Kammenos aber verbindet, ist der Populismus. Beide schlagen nationale Töne an und versprechen, dem durch die Geldgeber gedemütigten griechischen Volk seine Würde zurückzugeben.

Keine Zeit zu verlieren

Bereits könnte die neue Regierung ihre Amtsgeschäfte aufnehmen. Das Kabinett werde ähnlich aussehen wie in der vorangegangenen Legislaturperiode, heisst es in Syriza-Kreisen. Der Stuhl des Verteidigungsministers dürfte für den Anel-Chef Panos Kammenos reserviert sein. Auch Aussenminister Nikos Kotzias gilt als so gut wie gesetzt. Ihre Büros als Staatsminister in der Villa Maximos, dem Amtssitz des Premiers, dürften auch dessen Jugendfreund und enger Berater Nikos Pappas sowie sein väterlicher Mentor Alekos Flambouraris behalten – trotz einer kurz vor der Wahl hochgekommenen Affäre, bei der es um öffentliche Aufträge für Flambouraris frühere Baufirma geht.

Noch offen ist, wie die Posten in den Ministerien für Wirtschaft und Finanzen verteilt werden. Das werden auch in der neuen Regierung die wichtigsten Schaltstellen für die weiteren Verhandlungen mit den Geldgebern sein. Tsipras erwäge, ein neues Ministerium zu schaffen, dessen Ressortchef als Koordinator für die Kontakte mit den Gläubigerinstitutionen fungieren soll. Die Geldgeber erwarten jetzt, dass die neue Regierung die Reform- und Sparauflagen des dritten Rettungspakets zügig umsetzt. Tsipras will seinerseits das Thema Schuldenerleichterungen nun so schnell wie möglich auf die Tagesordnung bringen.

EU setzt auf Vertragstreue

Per Telefon hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem griechischen Wahlsieger Alexis Tsipras gratuliert. Man kennt sich. Und man hat einige Erfahrungen gesammelt in einem stürmischen Sommer. Auch unliebsame. Doch der Blick ging gestern nach vorne: «Es gibt viel Arbeit zu erledigen und keine Zeit zu verlieren», sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Und fügte hinzu: «Alexis Tsipras hat die Übereinkunft unterschrieben, die neue Regierung wird das Paket auch umsetzen.» Nur keine Debatte also um das im Juli vereinbarte Hilfspaket über 86 Milliarden Euro bis 2018. Die Sanierung der griechischen Banken drängt. Und schon im Oktober steht eine erste Überprüfung der ersten Umsetzungen des Sparpakets an. Im Wahlkampf aber ruhte die Politik. Man erwarte das Testat «im Herbst», sagte ein Kommissionsprecher am Montag. Im Klartext: In Brüssel rechnet man mit leichten Verzögerungen. Aber nicht mit gravierenden Änderungen am Sparprogramm. Im Streit um Schuldenerleichterungen deutete der Internationale Währungsfonds schon vor Wochen einen möglichen Ausweg an. Griechenlands Schuldendienst soll an die ökonomische Entwicklung gekoppelt und auf 15 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft beschränkt werden. In Europa herrschte gestern Erleichterung über das klare Wahlergebnis. Tsipras mag schwierig sein, aber er ist ein Bekannter. Schon das hilft. Und Europa kann ihn auf sein Reformprogramm verpflichten. Und so telefonierte Österreichs Kanzler Werner Faymann am Montag ebenso mit Tsipras wie Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Es war vor allem Hollande, der im Juli deutsche Überlegungen nach einem zeitweisen Abschied Griechenlands aus der Eurozone verhinderte. Der französische Präsident kündigte für die «kommenden Wochen» eine Reise nach Athen an. Griechenlands Sanierung bleibt ein dringliches europäisches Thema. Aber es droht Dringlicheres: die Flüchtlingspolitik. Sie betrifft viele in Europa unmittelbarer. Und sie ist von anderer Natur. Die Eurokrise stärkte die Fliehkräfte in Europa, aber die Risiken erwiesen sich als beherrschbar. Die Flüchtlingspolitik aber mit verwirrenden Konfliktlinien fördert Implosionskräfte. Europa ist zurück im Krisenmodus. Nur geht es dieses Mal nicht um Griechenland. (RIE)