Analyse
Netanjahu und der Zickzackkurs

Was für Pläne hat die israelische Regierung mit den Flüchtlingen im Land? Die Analyse von Susanne Knaul.

Susanne Knaul
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Israels Regierungschef Netanjahu kann sich nicht entscheiden. (Archiv)

Israels Regierungschef Netanjahu kann sich nicht entscheiden. (Archiv)

KEYSTONE/EPA/JIM HOLLANDER

Auf Druck seiner Koalitionspartner gibt Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu klein bei. Er habe noch einmal nachgedacht, «die Vor- und Nachteile abgewogen» und sei dann zum Schluss gekommen, gegen die Einigung mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zu entscheiden, die er erst am Montagnachmittag kundgetan hatte. Das Abkommen sah die Verschickung von 16 250 Geflüchteten in westliche Länder vor sowie Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen für dieselbe Anzahl von Afrikanern in Israel.

Überraschend an Netanjahus Zickzackkurs, der vor allem für die Betroffenen zermürbend sein muss, ist nicht seine Abkehr von der Einigung mit dem UNHCR, sondern dass er der Regelung, mit der über 16 000 Afrikaner in Israel hätten bleiben können, überhaupt erst zustimmte. Erklärtes Ziel seiner Regierung war stets, sämtliche «Infiltranten», wie die Geflüchteten offiziell in Israel genannt werden, loszuwerden.

Der Einspruch der national-religiösen Koalitionspartner war abzusehen. Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei HaBait Hajehudi, zürnte via Twitter gegen den Handel, der «illegale Infiltranten» mit dem Preis einer Aufenthaltsgenehmigung belohne. Kaum hatte Netanjahu der Einigung abgesagt, drängte Bennett dazu, die Abschiebung der unwillkommenen Gäste aus Afrika nun rasch voranzutreiben.

Der nationalreligiöse Politiker sorgt sich erklärtermassen um den jüdischen Charakter des Judenstaates, was seltsam ist, da die rund 40 000 Geflüchteten nur einen verschwindend kleinen Bruchteil der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die grosse Mehrheit der Migranten siedelte sich konzentriert im Süden Tel Avivs an, einer sozial schwachen Gegend mit infrastrukturellen Problemen.

Der lauteste Protest gegen eine Aufnahme der Geflüchteten kam von hier. Netanjahu tourte am Morgen durch den Süden der Stadt, um sich ein Bild über die Not seiner Landsleute zu verschaffen. Der Regelung mit dem UNHCR zufolge wären die in Israel verbleibenden Migranten auf das gesamte Land verteilt worden. «Ich entscheide, wo sie hingehen», hatte Innenminister Arie Deri am Vortag verkündet. Das Problem für den Süden Tel Avivs wäre lösbar gewesen.

Die grosse Mehrheit der rund 40 000 Migranten, darunter 5000 Kinder, stammt aus Eritrea und dem Sudan. Viele haben auf ihrem Fluchtweg durch den Sinai Geiselhaft und Folter erlebt. Aus Angst vor der Ungewissheit ziehen fast alle eine Gefängnishaft der Abschiebung in ein Drittland vor.

Vor diese Wahl hatte sie die Regierung Anfang des Jahres gestellt. «Der Staat Israel hat Vorkehrungen getroffen, die es Ihnen erlauben, Israel zu verlassen und in ein sicheres Drittland zu reisen», heisst es in einem Faltblatt auf Hebräisch, das den Afrikanern in die Hand gedrückt wird, wenn sie sich bei den Behörden zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis melden.

Die Option einer Abschiebung von aktuell zunächst 20 000 alleinstehenden Geflüchteten nach Ruanda oder alternativ die unbegrenzte Haft scheint zumindest vorläufig vom Tisch zu sein. Die Abschiebepläne von Netanjahu und Arie Deri scheiterten am Obersten Gerichtshof in Jerusalem, der die Aufnahmebereitschaft eines Drittlandes zur Bedingung machte. Ruanda wiederum setzte die Freiwilligkeit der Flüchtlinge voraus.

«Wir fanden ein Drittland, das bereit ist, die Leute aufzunehmen», erklärte Netanjahu. Allerdings habe dieses Land «dem Druck nicht standgehalten» und die getroffene Vereinbarung aufgekündigt. Über Wochen war in Israel von einem «geheimen Vertrag» die Rede. Tatsache ist, dass Ruanda wiederholt grundsätzlich Bereitschaft zur Aufnahme der Menschen signalisierte, allerdings nur, wenn sie freiwillig kommen.

«Ruanda wird niemals einen afrikanischen Migranten aufnehmen, der gegen seinen Willen abgeschoben wird», twitterte der stellvertretende Aussenminister Olivier Nduhungirehe bereits vor zwei Monaten. Aktuell kommentierte er: «Es hat nie ein Abkommen mit Israel gegeben.»

So brutal Israels Regierung versucht, sich der Migranten zu entledigen, so lebhaft stellen sich Menschenrechtsaktivisten schützend vor die Hilfe suchenden Menschen. Rund 20 000 Demonstranten zählten die Organisatoren vor gut zwei Wochen bei einem Protest in Tel Aviv gegen die Abschiebepläne der Regierung.

El-Al-Piloten kündigten an, den Transport der Menschen ins Ungewisse zu verweigern, und renommierte Autoren, darunter Amos Oz und David Grossman, appellierten an die Regierung, «moralisch, menschlich und mit Mitgefühl» zu handeln.