Jacinda Ardern schwenkt um: Ihre Zero-Covid-Strategie ist der Delta- Mutante nicht gewachsen. Normal wird in Neuseeland aber noch lange nichts.
Seit irgendjemand im August die Delta-Mutante nach Neuseeland eingeschleppt hat, geht die Zero-Covid-Strategie des Inselstaates nicht mehr auf. Die Regierung von Jacinda Ardern hat in den vergangenen Monaten jeweils ganze Grossstädte sofort unter einen strengen Lockdown gestellt, sobald auch nur ein Coronafall registriert worden war. Diese Massnahme gilt seit August etwa in der 1,7-Millionen-Metropole Auckland.
Anfänglich war die aussergewöhnliche Strategie von Erfolg gekrönt. Bisher wurden unter den gut fünf Millionen Neuseeländern nur 4300 Covid-Infektionen und 27 Todesfälle registriert. Zum Vergleich: In der Schweiz gab es bisher mehr als 840'000 Fälle und 10'721 Tote.
Doch die erprobten neuseeländischen Rezepte zeigten bei der ansteckenden Delta-Variante nicht das gewünschte Ergebnis. Trotz des Lockdowns mehren sich auch in Auckland nach sieben Wochen Lockdown die Neuansteckungen. Deshalb hat Regierungschefin Jacinda Ardern am Montag gesagt: «Dank der Impfungen können wir jetzt damit anfangen, unsere Strategie zu ändern. Wir haben Grund, optimistisch in die Zukunft zu sehen.» Die Zero-Covid-Strategie kommt in Neuseeland damit zu einem vorläufigen Ende.
Die 41-jährige Politikerin der Arbeiter-Partei, die Neuseeland seit vier Jahren regiert, hat bei ihrem Auftritt ihre bisherige Covid-Strategie allerdings verteidigt. Auch die harten Lockdown-Massnahmen in Auckland seien unumgänglich gewesen. «Das war die richtige Wahl. Nur jeder vierte Bewohner der Stadt war vor sieben Wochen geimpft.»
Seit die Massnahme eingeführt worden sei, hätte es einen wahren Run auf die Impfungen gegeben. 84 Prozent aller Auckland-Bewohner haben mindestens eine Dosis erhalten. Zu allen, die sich noch nicht immunisieren liessen, sagte Ardern:
«Bitte wartet nicht länger!»
Die rasche Steigerung der Impfquote habe sie zum Umdenken gebracht, sagte Ardern. Schliesslich seien nur gerade drei Prozent der Neuansteckungen auf Geimpfte zurückzuführen. Deshalb wird der Lockdown in Auckland ab morgen Dienstag schrittweise gelockert.
Treffen mit einem anderen Haushalt werden wieder möglich, Schulen sollen aufgehen, draussen Sport machen ist nicht mehr strikt verboten. Falls sich die Fallzahlen dadurch nicht drastisch erhöhen, sollen auch Cafés und Coiffeursalons bald wieder aufgehen, wie das im Rest des Landes bereits der Fall ist.
Arderns strenge Strategie geriet in den vergangenen Wochen zusehends unter Druck. Sogar der frühere neuseeländische Premierminister John Key hat sich eingeschaltet. In einem Beitrag im lokalen Medium «Stuff» nannte der konservative Politiker sein Land ein «selbstgefälliges Einsiedlerkönigreich» und forderte einen konkreteren Wiederöffnungsplan von der Regierung. Neuseelands Isolationsstrategie erinnere ihn immer mehr an die Abschottung Nordkoreas.
Für Touristen bleiben die Grenzen des Inselstaates allerdings weiterhin zu. Erst ab Anfang 2022 will sich das Land langsam für geimpfte Reisende aus Niedrigrisikoländern öffne. Ungeimpfte ab 17 Jahren sollen nicht mehr einreisen dürfen.
Die neuseeländische Fluggesellschaft Air New Zealand kündigte ebenfalls am Sonntag an, eine «No Jab, No Fly»-Richtlinie («Keine Impfung, Kein Flug») für Reisende einzuführen. Damit tritt Air New Zealand in die Fussstapfen der australischen Airline Qantas, die bei internationalen Flügen ebenfalls nur noch geimpfte Passagiere mitnehmen möchte.