NIEDERLANDE: Europa jubelt mit Rutte

Nach seinem Wahlsieg wird Premierminister Mark Rutte mit Glückwünschen überhäuft. Doch die Realität dürfte ihn bald einholen.

Remo Hess, Brüssel
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«Holland wählt Hoffnung statt Hass», freuen sich diese Demonstranten in Den Haag. (Bild: Daniel Reinhardt/DPA (16. März 2017))

«Holland wählt Hoffnung statt Hass», freuen sich diese Demonstranten in Den Haag. (Bild: Daniel Reinhardt/DPA (16. März 2017))

Remo Hess, Brüssel

Der Begeisterungssturm, in den Europa gestern verfallen ist, zeigt die grosse Erleichterung über den Wahlsieg von Hollands Liberalkonservativen (VVD) unter Premierminister Mark Rutte. Kaum ein Politiker, der dem 50-Jährigen mit dem Zahnpastalächeln nicht seine Glückwünsche ausrichtete. Freude herrschte, dass der Rechtspopulist Geert Wilders nicht als Stärkster aus der Wahl hervorgegangen ist.

«Ich freue mich auf weitere gute Zusammenarbeit als Freunde, Nachbarn, Europäer», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frankreichs François Hollande gratulierte «zum Sieg über die Extremisten» ebenso wie Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezeichnete das Resultat als «Inspiration für viele» und setzte noch Herzchen hinter seine Unterschrift.

Dass man sich vom holländischen Beispiel vielleicht aber doch nicht uneingeschränkt inspirieren lassen sollte, wie es Juncker vorschlug, räumte Rutte gestern gleich selbst ein: «Die Glückwünsche sind berechtigt. Jedoch ist es schade, dass wir einige Sitze abgeben mussten.»

Desaster beim Koalitionspartner

Tatsächlich verlor die VVD fast einen Vierteil ihrer Parlamentsmandate, und Ruttes Regierung ist nach dem desaströsen 20-Prozent-Verlust der sozialdemokratischen Koalitionspartner zerbrochen. Dagegen konnten die Linksgrünen (GL) unter ihrem 30-jährigen Jungstar Jesse Klavers ihre Mandate auf 16 vervierfachen. Mit 7 Prozent Wählerzuwachs dürften die konsequent proeuropäisch auftretenden Linksgrünen als die eigentlichen Wahlsieger betitelt werden. Aber auch die Sozialliberalen von der Gruppierung D66 und die Christdemokraten (CDA) legten mit je 4 Prozent kräftig zu. Daneben zogen einige weitere Kleinparteien ins Parlament ein, sodass in der zweiten Kammer nunmehr 13 Parteien vertreten sind – so viele wie im traditionell pluralistischen Holland seit 1970 nicht mehr.

Rutte stellte denn auch in Aussicht, dass es nicht einfach sein und lange dauern werde, bis eine Regierungskoalition gefunden ist. Überraschenderweise hat auch Geert Wilders, der mit seiner Freiheitspartei (PVV) nun eine der drei zweitstärksten Fraktionen stellt, in einem Fernsehinterview die Mitarbeit in der Regierung angeboten. Rutte hat aber immer kategorisch ausgeschlossen, mit Wilders zu kooperieren.

Beobachter rechnen damit, dass Ruttes Konservativliberale mit den Sozialliberalen (D66) und den Christdemokraten (CDA) zusammengehen werden. Für die Mehrheit im 150 Sitze zählenden Parlament fehlt ihnen dann aber noch eine vierte Partei mit einer Handvoll Abgeordneter. Bereits gestern haben erste Gespräche für mögliche Koalitionen stattgefunden. Der Politikwissenschafter Claes de Vreese von der Universität Amsterdam weist darauf hin, dass die Bildung der künftigen Vielparteienregierung umso schwieriger sein wird, weil jede der Parteien ihre Eigeninteressen und ihre spezifischen Profile wiederfinden möchte.

Doch noch überwiegt die Freude über den verhinderten Wahlsieg von Geert Wilders. Gemäss dem Grünlinken-Chef Jesse Klavers sei das Schönste an der Wahl, dass nach Brexit und Trump der Vormarsch der Rechtspopulisten gestoppt werden konnte.

AfD-Chefin kritisiert Wilders

Diese blieben gestern eher einsilbig, obwohl sie mit Wilders im Januar in Konstanz eine Art «nationalistische Internationale» ausgerufen hatten. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sagte Le Pen, dass sie «keine beson­dere Enttäuschung über den Wahlausgang» empfinde. Für Harald Vilimsky, Generalsekretär der österreichischen FPÖ, ist Wilders der klare Sieger der Wahl. «Alles andere ist Realitätsverweigerung», sagte er.

Einzig AfD-Chefin Frauke ­Petry liess leise Kritik durchschimmern, dass es Wilders im Wahlkampf vielleicht über­trieben hat. «Die Bürger wollen eine klare Ansage, aber sie fürchten sich vor einem harten Ton.» Wilders habe nicht immer den richtigen Ton getroffen, so Petry.