Die Weltöffentlichkeit war verblüfft: Kim Jong Un, der nordkoreanische Machthaber geht am 27. April an der Waffenstillstandslinie in Panmunjom mit einem Lächeln auf den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In zu, schüttelt ihm die Hand und umarmt ihn auch noch. Und er bietet US-Präsident Donald Trump die Denuklearisierung an. Aber ist Kim zu trauen? Und was will er letztlich: die koreanische Wiedervereinigung?
Kim meine es ernst, ist die Einschätzung des Tübinger Koreanologen You Jae Lee. Erst einmal gehe es ihm darum, Vertrauen zu schaffen zwischen Pjöngjang und Seoul, zwischen seinem international weitgehend isolierten Nordkorea und dem wirtschaftlich deutlich stärkeren Südkorea. Kim strebe eine System-Garantie für sein Regime an, und zwar durch einen Friedensvertrag.
Kaum jemandem ist heutzutage bewusst, dass seit dem Ende des die Teilung zementierenden Korea-Krieges 1953 nur ein Waffenstillstand besteht zwischen dem noch hauptsächlich von China unterstützten totalitären Staat im Norden und dem nach Jahren der Militärdiktatur immer demokratischeren und pluralistischeren Südkorea.
Darum sind auch rund 25'000 US-Soldaten im Süden stationiert, die immer wieder Manöver mit der südkoreanischen Armee durchführen. Worauf wiederum Nordkorea gereizt reagiert und ebenfalls militärisch mobilisiert.
Und natürlich hofft Kim auch auf eine Aufhebung der drückenden Uno-Sanktionen gegen Nordkorea, die als Strafmassnahme gegen dessen Atomprogramm ergriffen wurden. Nach Einschätzung der Weltbank sind mehr als 40 Prozent der 24 Millionen Einwohner unterernährt, und mehrmals in den vergangenen zehn Jahren organisierte das Uno-Welternährungsprogramm Notoperationen, um Millionen von Hunger bedrohte Nordkoreaner mit dem Nötigsten zu versorgen.
Die spätestens seit 1977 offiziell geltende Chuch’e-Ideologie als Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus propagierte die absolute Selbstständigkeit und wirtschaftliche Autarkie Nordkoreas.
Sie hatte das Land aber in die Isolation geführt und zum wirtschaftlichen Krebsgang verurteilt - ganz abgesehen vom Gulag-ähnlichen System von Konzentrations- und Umerziehungslagern für rund 200'000 politische Gefangene, wie westliche Menschenrechtsorganisationen schätzen.
Was 1989 in Deutschland fast über Nacht gelang, die Wiedervereinigung einer durch den Kalten Krieg gespaltenen Nation, - warum sollte das nicht auch in Korea möglich sein? Das fragt man sich vor allem in Europa, auf dem Kontinent, der auf beinahe wundersame Weise in kurzer Zeit seinen historischen Riss zu kitten vermochte, zumindest äusserlich.
In Deutschland ist vor bald 30 Jahren in wenigen Monaten die wirtschaftlich und politisch bankrotte DDR verschwunden, absorbiert von der reichen BRD - und dies auf ausdrücklichen Wunsch der ostdeutschen Bevölkerungsmehrheit, und mit Beschluss der beiden Parlamente.
Korea könne man nicht eins zu eins mit Deutschland vergleichen, warnt Lee, selber Südkoreaner und als Professor Leiter der Koreanistik an der Universität Tübingen in Baden-Württemberg. Obwohl das deutsche Modell sozusagen in der koreanischen Luft schwebe.
Aber die Voraussetzungen seien nicht vergleichbar zwischen einem Deutschland unter Viermächtestatut und in geopolitisch zentraler Lage einerseits und andererseits einem peripheren ostasiatischen Land, das einen Friedensvertrag ohne Einbezug von Siegermächten quasi unter sich ausmachen könnte, meint Rüdiger Frank, Professor und Leiter des Instituts für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien, in seinem 2017 erschienen Buch "Nordkorea - Innenansichten eines totalen Staates".
Klingt einfach und stimmt optimistisch, ist man versucht zu sagen - wäre da nicht die grundlegende ideologische Kluft zwischen einer totalitären Diktatur weniger Familienclans mit den Kims an der Spitze, also einer De-facto-Monarchie im Norden, gestützt auf das Militär, und einem mehr oder weniger demokratisch-pluralistischen Staat im Süden.
Zwar streben sowohl der Norden wie auch der Süden langfristig eine einzige koreanische Nation an, aber dem Süden wäre eine zu schnelle Entwicklung mit Blick auf die ziemlich sicher astronomischen Kosten wohl auch nicht ganz geheuer. Und der Norden hat sich schon 1993 in einem Zehn-Punkte-Grundlagenprogramm gegen das Überstülpen eines der beiden Systeme über ein vereinigtes Korea ausgesprochen.
Spätestens seit den 1970er Jahren habe man in Nordkoreas Führung erkannt, dass eine Wiedervereinigung wegen des wachsenden Machtungleichgewichtes gegenüber dem Süden vermutlich einer Kapitulation gleichkommen würde, meint der Wiener Koreanologe Frank.
In beiden Koreas gelte aber die Teilung als grösste nationale Tragödie; Korea sehe sich dabei als Opfer von Grossmachtinteressen, so Frank. Der Leipziger hat die DDR als junger Mann selbst erlebt und Anfang der 1990er Jahre ein Semester in Pjöngjang studiert. Soeben ist er von einem Aufenthalt in Nordkorea zurückgekehrt.