Türkischer Präsident in Deutschland: Die Not macht Erdogan sanftmütig

Höchste Sicherheitsstufe, Scharfschützen auf den Dächern: Der türkische Präsident Erdogan ist in Deutschland. Dabei schlägt er versöhnliche Töne an wie nie. Das ist wohlkalkuliert.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Erdogan trifft mit seiner Frau Emine am Flughafen Tegel ein. (Bild: Sean Gallup/Getty ( Berlin, 27. September 2018)

Erdogan trifft mit seiner Frau Emine am Flughafen Tegel ein. (Bild: Sean Gallup/Getty ( Berlin, 27. September 2018)

Proteste, Scharfschützen, ein abgesperrtes Regierungsviertel, über 4000 Polizisten, militärische Ehren: Der höchst umstrittene türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist seit Donnerstagnachmittag auf Staatsbesuch in Deutschland. Erst am Freitag beginnt der offizielle Teil, der AKP-Politiker wird von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit allen militärischen Ehren empfangen. Es stehen gleich zwei Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Programm, für Freitagabend hat Steinmeier zum festlichen Bankett ins Schloss Bellevue geladen.

Eine Geste notabene, die in Deutschland für Wirbel sorgt: Etliche ranghohe Politiker haben ihre Teilnahme für Freitagabend abgesagt, nicht einmal die Kanzlerin wird an dem feierlichen Diner teilnehmen. Das deutsch-türkische Verhältnis ist seit Jahren angespannt, seit dem Putschversuch vom Juli 2016 haben sich die einstmals guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern dramatisch verschlechtert: Erdogan hat der deutschen Regierung mehrmals Nazi-Methoden unterstellt. Ausserdem bezichtigt er Deutschland der Unterstützung von Terrororganisationen wie der PKK oder der Gülen-Bewegung.

Aufruf zum «Schulterschluss»

Nach wie vor sitzen deutsche Staatsbürger aus offenkundig politischen Gründen in türkischer Haft, zudem warnt der Verfassungsschutz seit Monaten vor Bespitzelungen der türkisch-islamischen Union Ditib. Ihre Imame sollen in Deutschland Anhänger der so genannten Gülen-Bewegung ausfindig gemacht und angeschwärzt haben. Hinzu kommt scharfe deutsche Kritik am Bestreben Erdogans, in der Türkei ein autokratisches System zu errichten. Die Pressefreiheit wird eingeschränkt, Beobachter sprechen von ständigen Menschenrechtsverletzungen. «Und für den rollen wir jetzt den roten Teppich aus?», fragt die «Bild»-Zeitung.

Indes: Der Präsident schlägt vor seinem Besuch ungewohnt sanfte Töne an. In einem Gastbeitrag für die FAZ ruft er dazu auf, die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Ländern beiseitezulassen. «Lassen Sie sich uns auf unsere gemeinsamen Interessen, gemeinsamen Herausforderungen und gemeinsamen Bedrohungen konzentrieren», schreibt Erdogan, der der deutschen Regierung und Bevölkerung ausdrücklich für die Anstrengungen in der Flüchtlingskrise dankt. Zugleich ruft er zu einem «Schulterschluss» zwischen Deutschland und der Türkei auf, um «destruktive Handelskonflikte» – Erdogan kritisiert explizit die Politik von US-Präsident Donald Trump – abzuwenden. Bereits am Rande der UNO-Vollversammlung in New York reichte Erdogan der Regierung in Berlin die Hand zur Versöhnung: «Wir wollen all die Probleme hinter uns lassen und wieder eine herzliche Atmosphäre zwischen der Türkei und Deutschland schaffen.»

Türkische Wirtschaft in der Krise

Hinter Erdogans Sanftmut steckt Kalkül. Denn der 64-Jährige sitzt wegen der wirtschaftlichen Verwerfungen in seinem Land längst nicht mehr so fest im Sattel, wie er das gerne täte. Bereits die Wahl im Juni, die Erdogan mit knapp 52,6 Prozent für sich entschieden hatte, ist Indiz für den schwindenden Rückhalt.

Die türkische Wirtschaft steht unter Druck, die Lira verliert massiv an Wert, die Inflationsrate ist hoch – zudem wird das Land von den US-Sanktionen hart getroffen. Dazu hat die EU gerade erst ihre EU-Beitrittshilfen um fast 40 Prozent gekürzt. Laut dem Türkei-Experten Günter Meyer von der Universität Mainz steht der türkische Machthaber innenpolitisch unter gewaltigem Druck: «Sämtliche wirtschaftlichen Indikatoren gehen nach unten, Investoren ziehen massenhaft ab, die schwache Lira verteuert die Rohstoffe. Durch die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage geraten auch die Einkommen der Türken unter Druck», sagt Meyer und fügt hinzu: «Erdogan ist auf wirtschaftliche Unterstützung aus dem Ausland und gerade aus Deutschland dringender denn je angewiesen.» Das Interesse an einem sich entspannenden Verhältnis hat freilich auch Deutschland: Mehr als 6500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung sind auf dem türkischen Markt aktiv. Erdogan wird in Berlin nicht nach Finanzhilfe ersuchen, aber er braucht Investitionen aus dem Ausland, um innenpolitische Instabilität zu verhindern.

Nichtsdestotrotz tritt Erdogan nun auch als Bittsteller auf – eine Chance für Deutschland, den Machthaber zu wichtigen politischen Zugeständnissen zu bewegen. «Die Bundesregierung muss ihm klarmachen, dass es eine wirtschaftliche Unterstützung erst gibt, wenn er seine Politik mässigt», sagt Meyer. Als ersten Schritt könne Deutschland die Freilassung inhaftierter Landsleute verlangen. Die Türkei werde sich nicht von heute auf morgen in einen demokratischen Vorzeigestaat verwandeln, aber, so Meyer: «Erdogan weiss, dass er sich bewegen muss.»