Die örtliche Polizei brüstete sich damit, «Terroristen» unschädlich gemacht zu haben. Doch der überlebende, neunjährige Sohn der Getöteten brachte die Wahrheit ans Licht.
Zuerst hiess es, mit Muhammad und Nabila Khalil habe die Polizei im pakistanischen Punjab ein Entführerpärchen unschädlich gemacht, das vier Kinder in seine Gewalt gebracht hatte.
Wenige Stunden später änderte die Polizeiführung ihre Geschichte und verkündete, bei dem Ehepaar habe es sich vielmehr um Terroristen des «Islamischen Staats» gehandelt, die das Feuer auf Beamten eröffnet hätten. In dem anschliessenden Schusswechsel seien mehrere Militante, von denen einige auf Motorrädern unterwegs waren, getötet worden. Drei Terroristen seien entkommen, alles in allem sei die Kommandoaktion am Samstag vergangener Woche jedoch ein voller Erfolg gewesen, so der Polizeichef des Punjab.
Doch dann stöberten pakistanische Fernsehreporter den überlebenden Sohn des Ehepaars in einem lokalen Krankenhaus auf: Das landesweit ausgestrahlte Interview mit dem Neunjährigen brachte das Lügengebäude des Sicherheitsapparats krachend zum Einsturz.
Danach waren die Khalils auf einer Autobahn von Lahore Richtung Süden auf dem Weg zu einer Hochzeit, als sie unweit einer Mautstation von Polizisten gestoppt wurden. Sein Vater habe die Uniformierten noch angefleht, sein Geld zu nehmen, aber ihn und seine Familie in Frieden zu lassen, da hätten die Polizisten schon das Feuer eröffnet.
Sein Vater, seine Mutter, seine 13-jährige Schwester und der Fahrer, ein Freund der Familie, seien vor seinen Augen erschossen worden, berichtete Umair Khalil. Er selbst habe auf dem Rücksitz nur einen Streifschuss abbekommen, seine beiden kleinen Schwestern neben ihm seien unverletzt geblieben.
Dass Umairs Version der Ereignisse stimmt, steht wohl ausser Frage: Videoaufnahmen von Augenzeugen und Überwachungskameras belegen, was er erzählt. Die Bilder zeigen auch, dass die Polizisten in Panik geraten, als sie merken, dass in dem Auto, das sie gerade durchsiebt haben, kleine Kinder sitzen. Sie dokumentieren, dass die Beamten die drei Kinder erst mitnahmen und an der nächsten Tankstelle aussetzen.
In Pakistan, in dem willkürliche Tötungen seitens der Sicherheitskräfte an der Tagesordnung sind, hat das Schicksal der Familie Khalil einen Nerv getroffen. Am Tag nach dem Tod der Khalils blockierten Demonstranten die Autobahn, auf der sie starben, und legten so den Nord-Süd-Verkehr des Landes vorübergehend lahm. Auf Pakistans sozialen Netzwerken machten Hunderttausende Nutzer ihrem Zorn darüber Luft, dass Angehörige der Polizei und Armee fast nie für Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Empörung wurde schliesslich so gross, dass sich Pakistans Präsident Imran Khan einschaltete. «Die Trauer und die Wut sind berechtigt und verständlich», tweetete der ehemalige Cricket-Star. Mit der Strafe für die Täter müsse ein Exempel statuiert werden. Er persönlich werde die gesamte Arbeitsweise der Polizei im Punjab überprüfen lassen und Reformen anstossen. «Ich bin immer noch vom Anblick dieser traumatisierten Kinder schockiert, die mit ansehen mussten, wie ihre Eltern vor ihren Augen erschossen wurden. Der Staat wird sich in voller Verantwortung dieser Kinder annehmen», so der 66-Jährige.
Getrieben von dem landesweiten Aufruhr ordnete der Gouverneur des Punjab, Usman Buzdar, die umgehende Untersuchung der Vorfälle an. Inzwischen sind fünf Polizisten wegen Mordes angeklagt, mehrere hochrangige Sicherheitsbeamte wurden entlassen. Buzdar beharrt darauf, dass es sich bei dem Fahrer des Wagens der Khalils um einen Mann mit Verbindung zu Terrornetzwerken gehandelt habe. Doch hat die Polizei bislang keine Beweise für diesen Vorwurf vorgelegt. Der mächtige Militärgeheimdienst in Pakistan nutzt die Polizeitruppe seit einigen Jahren vermehrt als Instrument, um missliebige Personen einzuschüchtern oder zu beseitigen. «Sicherheitskräfte haben landesweit im Zuge der Terrorismusbekämpfung schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter Folter, Verschwindenlassen und aussergerichtliche Tötungen», befand Human Rights Watch in ihrem Jahresbericht 2018.
Viele Pakistaner haben die Polizeiwillkür gründlich satt. Dank sozialer Medien haben sie nun auch ein Instrument, um ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen und Politiker so unter Druck zu setzen, den Sumpf bei den Sicherheitskräften trockenzulegen.