Stefan Scholl über die Präsidentschaftswahl in Russland.
Die Atmosphäre bei diesen Wahlen hatte etwas Postsowjetisches: Die Wähler wurden mit Musik, Kinderkarussells und Smartphone-Verlosungen an die Urnen gelockt. Ein Volksfest, bei dem auch noch eifrig mit Stimmzetteln manipuliert wurde. Aber selbst Oppositionelle geben zu: Die Mehrheit steht hinter Putin. In Russland funktioniert ein Propaganda- und Repressionssystem, das inzwischen alle, die dagegen opponieren, marginalisiert, auch kriminalisiert, etwa den liberalen Hoffnungsträger Alexei Nawalny.
Aber je perfekter ein System funktioniert, desto weniger Begeisterung produziert es. Putins Propaganda lärmt schon jetzt am Limit, Feindschaft zum Westen und neue Atomraketen wurden zu Hauptthemen des Wahlkampfs. Das Rasseln mit den Nuklearsprengköpfen aber mag dem Durchschnittsrussen, der in den «heroischen Jahren nach der Krim» über einen Viertel seines Einkommens eingebüsst hat, irgendwann auf die Nerven gehen. Auch Propaganda verschleisst sich. Die Gesellschaft steht nur zum Wählengehen vom Sofa auf, hat sich an Putin als Garanten für Stabilität und einen gewissen Wohlstand gewöhnt, Krieg will sie nicht.
Statt der nationalen Aufbruchstimmung, die Putins PR seit Jahren beschwört, herrscht in Russland Wirtschaftsstagnation, Apathie, Flucht auf die Datscha. Die Unterstützung für Putin ist inzwischen ziemlich passiv. Auch perfekte Systeme sind nicht ewig. Und der Wahlsieger sollte irgendwann etwas gegen die stinkenden Müllberge rund um seine Hauptstadt unternehmen. Es wäre wirklich zu dumm, wenn so eine stinkende Nebensächlichkeit zum Anlass würde, dass die Moskauer wieder gegen Putin auf die Strasse gehen.
Stefan Scholl, Moskau
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