Benoît Hamon, der neue Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, will eine linke Front schaffen. Damit spaltet er seine eigene Partei und treibt Wähler in die Arme des parteilosen Emmanuel Macron.
Es war wie nach einem Boxmatch. Benoît Hamon hatte am Sonntagabend gegen Manuel Valls nach Punkten klar gewonnen – mit 58 zu 42 Prozent. Wie angezählt traten die beiden Finalisten der sozialistischen Primärwahl auf die Treppen der Parteizentrale in der Pariser Rue Solférino, um sich als gute Parteifreunde die Hand zu reichen. Der Handshake wirkte aber so künstlich, dass Parteichef Jean-Christophe Cambadélis in seiner Verlegenheit den rechten Arm Hamons in die Luft riss, als hätte er soeben einen historischen Faustkampf gewonnen.
Das hatte er in gewissem Sinn auch. Mit Hamon triumphieren die «Frondeure» (Rebellen) über das Regierungslager um François Hollande und Valls, die bald fünf Jahre lang den sozialliberalen Kurs im Land und der Partei vorgegeben hatten. Wie Jeremy Corbyn bei der britischen Labour hat in Frankreich nun die Parteilinke das Zepter übernommen. Jenes Lager also, das noch «zu träumen wagt», wie Hamon im Wahlkampf sagte. Der 49-jährige Ex-Bildungsminister möchte das von Hollande und Valls liberalisierte Arbeitsrecht zurücknehmen und ein Grundeinkommen «für alle» im Umfang von 400 Milliarden Euro einführen. Das wäre das pure Gegenteil von Valls, der in der parteiinternen Kampagne für mehr Ordnung, Autorität und unternehmerische Freiheit eingetreten war. Davon hatten die sozialistischen Wähler nach fünf Jahren «Hollandismus» aber offensichtlich genug. Das Resultat der sozialistischen Primärwahl ist auch eine Schmach für den scheidenden Präsidenten und seinen bereits geschiedenen Premier. Valls rief am Sonntagabend zwar zur Einheit der Parti Socialiste, aber nicht direkt zur Wahl Hamons; aus dem Wahlkampf dürfte er sich vornehm heraushalten.
Es sei denn, dass Valls zu Emmanuel Macron überläuft. Der neue Shootingstar der linken Mitte gibt sich so liberal und reformwillig wie der glücklose Ex-Premier. Schon jetzt verliert der Parti Socialiste am rechten Rand immer mehr Anhänger, und dieser Trend dürfte sich nach Hamons Sieg noch verstärken. Parteichef Cambadélis droht den sozialistischen Abgeordneten bereits: Wenn sie bei den Präsidentschaftswahlen im April Macron unterstützen, werden sie bei den Parlamentswahlen im Juni von der Partei boykottiert.
Viele Sozialisten wie der Bürgermeister von Lyon, Gérard Collomb, lassen sich davon nicht abhalten. Macron kommt in einer neuen Umfrage für den ersten Durchgang der Präsidentenwahlen auf 21 Prozent, fast so viel wie die Rechtskandidaten Marine Le Pen (25 Prozent) und François Fillon (22 Prozent). Hamon kommt derzeit nur auf 15 Prozent der Stimmen. Er weiss, dass er die zerrissene Partei mit seinem unrealisierbaren Programm noch ganz spalten könnte. Dessen ungeachtet appellierte er gestern an den Linken-Leader Mélenchon und den Grünen-Kandidaten Yannick Jadot – nicht aber Macron –, eine gemeinsame Wahlplattform zu erarbeiten. Sie alle haben aber bereits ausdrücklich festgehalten, dass sie auf keinen Fall zu Gunsten anderer auf ihre eigene Kandidatur verzichten werden.Und selbst wenn: Die Sammlung der «gauche de la gauche» (linksaussen) würde den Realo-Flügel der Sozialisten nur noch stärker in Macrons breit geöffnete Arme treiben. In Paris werden die abtrünnigen Sozialisten bereits «Deserteure» genannt.
Das einstige Mehrheitslager um Hollande – der sich mit Theaterbesuchen demonstrativ aus dem Wahlgerangel heraushält – wirkt jedenfalls völlig verwaist und desorientiert. Die Parti Socialiste ist nur noch ein Schatten jener Partei, die unter François Mitterrand oder Lionel Jospin Frankreich anführte und mit der Abschaffung der Todesstrafe oder der 35-Stunden- Woche prägte.
Stefan Brändle/Paris