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Franzosen rümpfen die Nase, wenn sie auf François Hollande angesprochen werden. Und auch der Präsident selbst setzt sich unter Druck: Sinkt die Arbeitslosigkeit bis 2017 nicht, will er nicht wieder kandidieren. Eine Analyse zu zwei Jahren Hollande.
Der Liebesentzug ist generell. Laut dem Klatschheft «Gala» hat die Schauspielerin Julie Gayet ihren behelmten Lover namens François Hollande dieser Tage «verlassen».
Und die aus dem Élysée ausgezogene First Lady Valérie Trierweiler stichelt in der Zeitschrift «Paris-Match», wo sie ihre Literaturkolumne wieder aufgenommen hat.
Ohne Anlass schrieb sie einen Beitrag über Jules Ferry, «den am meisten verabscheuten Politiker Frankreichs im 19. Jahrhundert», wie sie festhielt. Tout-Paris sieht darin eine Anspielung auf die heutige Zeit.
François Hollande ist der unpopulärste Präsident der Fünften Republik. Zum Jahrestag seiner Wahl am 6. Mai 2012 meinten 35 Prozent seiner ehemaligen Wähler, sie würden dem 59-jährigen Sozialisten nicht mehr die Stimme geben.
Dabei ist seine Bilanz in einigen Bereichen gar nicht so schlecht: Gegen harten Widerstand von rechts brachte er die Homo-Ehe durchs Parlament. Und in Mali sowie in der Zentralafrikanischen Republik verhütete er mit beherzten Militäreinsätzen das Schlimmste.
Die Franzosen aber kreiden ihm vor allem den Misserfolg bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an. Sie hat im April eine neue historische Rekordhöhe von 3,3 Millionen Erwerbsfähigen erreicht und lastet wie Blei auf Frankreich.
Hollande sinnierte vor einigen Tagen selbst: «Wenn die Arbeitslosigkeit bis 2017 nicht sinkt, habe ich keinen Grund, für die Wiederwahl zu kandidieren oder gewählt zu werden.»
So viel Einsicht kontrastiert mit der üblichen Zuversicht des Präsidenten, von dem sein Parteifreund Julien Dray einst sagte: «Er hat das Profil eines Lottospielers – er glaubt immer, er werde den Jackpot holen.» Am Sonntag erklärte Hollande aber bereits wieder: «Le retournement arrive» – «Der Umschwung kommt!»
Seit seiner Wahl hatte er den Franzosen immer wieder erklärt, spätestens Ende 2013 werde er die Arbeitslosenkurve «umkehren». Doch sie steigt weiter und weiter, und die Franzosen können die zweckoptimistischen Beteuerungen ihres Präsidenten nicht mehr hören. Das ob der Wirtschaftskrise entstandene Hollande-Bashing nimmt deshalb mehr und mehr persönliche Züge an. Die Polit-Muppetshow «Les Guignols de l’info» mokiert sich auf eine Art über den Präsidenten, die schon nicht mehr satirisch ist, sondern nur noch von Verachtung zeugt. Trierweiler, Gayet oder seine frühere Lebenspartnerin Ségolène Royal kommandieren den Staatschef in diesen Sketches nach Belieben herum.
In der harten Wirklichkeit ist der präsidiale Autoritätsverlust nicht minder augenfällig – und das nicht nur, weil Hollande Royal auf ihr Drängen hin wieder als Umweltministerin in die Regierung holen musste. Erstmals wurde nämlich einem Staatschef der neue Premierminister von der Öffentlichkeit aufgezwungen. Nach der persönlichen Schlappe bei den Gemeindewahlen hatte Hollande gar keine Wahl mehr, als Manuel Valls zu nominieren. Seither haben die Medien nur noch Augen für den schneidigen Premier; Hollande erscheint fast wie die Nummer zwei der Staatsführung – ein unerhörter Vorgang für die Fünfte Republik, in deren Verfassung Charles de Gaulle den Staatschef als Chefdirigenten der Nation einsetzte.
Hollande ist kaum mehr Herr der Lage, sondern von der europäischen und weltweiten Konjunktur abhängig. Und selbst wenn diese wieder anziehen sollte, werden es die Franzosen eher dem energischen Premier zuschreiben als einem Präsidenten, der schon seit 2012 die Morgenröte verspricht.
Viele Vorwürfe an seine Adresse sind übertrieben: Hollande übernahm ein schweres Erbe von seinem konservativen Vorgänger Nicolas Sarkozy, der die Staatsschuld um mehr als 500 Milliarden Euro explodieren liess. Im Clinch zwischen seinem austeritätsfeindlichen Parti Socialiste und den Sparappellen der EU-Kommission hat er keinen Handlungsspielraum. Der Journalist Renaud Dély wirft dem Sozialisten vor, er habe sich zu wenig Richtung politische Mitte geöffnet. Täte dies Hollande, verlöre er aber seinen linken Parteiflügel noch ganz – und damit die Parlamentsmehrheit.
Sogar Parteifreunde stellen den ungeschriebenen Anspruch des Präsidenten, zu seiner Wiederwahl anzutreten, heute prinzipiell in Abrede. Viele Sozialisten setzen bereits auf Valls. Aber Hollande hat noch eine Karte – und die heisst paradoxerweise Nicolas Sarkozy. Die beiden teilen eine Gemeinsamkeit: Sie sind beide ein Handicap für ihr Lager, wollen dies aber nicht wahrhaben und verfügen über einen ungebrochenen Ehrgeiz und Elan. Sarkozy schickte soeben seine Gattin Carla Bruni vor, damit diese in einer US-Talkshow säuselte, «als Bürgerin» würde sie eine erneute Kandidatur ihres Mannes 2017 begrüssen. Wenn sich Sarkozy nochmals als Hoffnungsträger der Rechten inszenieren kann, hat auch Hollande eine Chance: Schliesslich hatte er seinen rastlosen Widersacher schon im Wahlkampf 2012 ausgebremst. Und Sarkozy will genauso eine Revanche gegen Hollande.
Doch dieses Szenario ist noch nicht geschrieben. Am Dienstag erklärte Hollande zwar, die Franzosen sollten erst am Ende seines Mandates ein Urteil über ihn fällen. Derzeit ist allerdings nicht einmal sicher, ob er bis 2017 im Élysée bleiben wird.