Die Schweiz beerdigt das Institutionelle Rahmenabkommen mit der EU. Die Kommission reagiert gefasst – doch Frust und Enttäuschung sind spürbar.
Nein, richtig überrascht war in Brüssel niemand vom Bundesratsentscheid. Immerhin liest man auch bei der EU-Kommission Zeitung. Schon seit einiger Zeit habe man kaum mehr Hoffnung gehabt, sagte eine hohe EU-Beamtin. In einer Stellungnahme liess EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Bedauern über den «einseitigen Entscheid» der Schweiz mitteilen.
Ohne Rahmenabkommen sei die Modernisierung der bilateralen Beziehungen unmöglich. Die bestehenden Verträge würden zwangsläufig veralten. Man werde die Folgen des Entscheids nun eingehend analysieren. Am späteren Mittwochnachmittag wurden in einer ausserordentlichen Sitzung die 27 EU-Botschafter der Mitgliedsstaaten unterrichtet.
Andreas Schwab, der Delegationsleiter für die Schweiz im EU-Parlament, bezeichnete das Resultat als «Scherbenhaufen». Mehr als sieben Verhandlungsjahre seien sinnlos vergeudet worden, so der deutsche Christdemokrat. Sven Giegold von den Grünen meinte:«Das ist eine grosse Enttäuschung. Mir ist schleierhaft, was nun einfacher oder besser werden soll.»
Und der österreichische Sozialdemokrat Andreas Schieder sieht das Problem alleine bei der Schweiz:
«In den Verhandlungen hat sich die Schweiz wenig kooperativ gezeigt.»
Christian Leffler, der ehemalige Chefunterhändler der EU, der das Abkommen zusammen mit Staatssekretär Roberto Balzaretti weitgehend ausverhandelt hatte, sprach dem Bundesrat ab, ein glaubwürdiger Partner zu sein.
Wie soll es in den Augen Brüssels nun weitergehen? Im Gespräch geben EU-Diplomaten zu verstehen, dass man sich nun erstmal um anderes kümmern werde. Dass sich die Staats- und Regierungschefs bald mit der Schweiz befassen, ist unwahrscheinlich, auch wenn das einzelne Mitgliedsstaaten schon gefordert haben. In Brüssel findet man vielmehr, dass man jetzt am besten einfach gar nichts machen sollte: Die Schweiz werde mit den erodierenden Verträgen merken, was die Konsequenzen des Rahmenabkommen-Aus sein werden, wie jetzt bei der Medizinaltechnik-Branche, heisst es.
Enttäuscht gab man sich auch in den Hauptstädten Europas. Wien wurde sogar kalt erwischt. So kalt, dass lange Grabesstille herrschte. Dann aber nannte Österreichs EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler den Entscheid der Schweiz «sehr bedauerlich». Mann sei «weiterhin davon überzeugt, dass der Abschluss des Institutionellen Rahmenabkommens jetzt der richtige Schritt gewesen wäre».
In Berlin erklärte das Auswärtige Amt knapp:
«Aus unserer Sicht liegt der Abschluss eines Institutionellen Rahmenabkommens in beidseitigem Interesse.»
Und in Paris sagte Aussenhandelsminister Franck Riester, dass man die besten Beziehungen zur Schweiz wahren wolle. Im ersten Halbjahr 2022 wird Paris zudem den EU-Vorsitz leiten – und zweifellos auf eine Einigung mit der Schweiz hinarbeiten.
Auf einen neuen politischen Dialog, wie ihn auch der Bundesrat vorschlug, hat man in Brüssel allerdings keine Lust und empfindet das Ansinnen als merkwürdig. Man habe sich die letzten Jahre ja gerade im ständigen und intensiven Dialog befunden. Das Rahmenabkommen sei das Instrument, um gemeinsam vorwärts zu gehen, heisst es dort.