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Die Republikaner wenden sich reihenweise vom US-Präsidenten ab. Gerüchte über einen vorzeitigen Rauswurf machen die Runde. Und Joe Biden findet deutliche Worte für die Demonstranten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Situation in Amerika.
Der Kongress hat in der Nacht zum Donnerstag seine wegen des Angriffs unterbrochene Sitzung wieder aufgenommen und den Wahlsieg von Joe Biden offiziell bestätigt. Daraufhin kündigte der abgewählte Präsident Donald Trump an, dass er sich nicht weiter gegen die Übergabe der Amtsgeschäfte sperren werde. Das Wahlergebnis erkennt Trump jedoch nach wie vor nicht an. Er wiederholte seine unbelegten Behauptungen, dass sein «Erdrutschsieg» durch Wahlbetrug gestohlen worden sei.
Am Tag nach dem Sturm auf das amerikanische Kapitol herrscht in der Umgebung des historischen Gebäudes Grabesruhe. Der Komplex, der nebst dem eigentlichen Parlamentsgebäude auch mehrere Bürohäuser umfasst, ist weitgehend abgesperrt. Ein neuer Zaun hält Schaulustige davon ab, sich dem Gebäude zu nähern. Auch die West-Fassade – wo in weniger als zwei Wochen Joe Biden den Amtseid als Präsident ablegen wird – ist abgesperrt.
Den Eindringlingen stellten sich am Kapitol anfangs nur einzelne Sicherheitskräfte entgegen. Später gar keine mehr. Auf Videos in den sozialen Medien ist zu sehen, wie an Zugängen jeweils eine Handvoll Sicherheitsleute von den Krawallmachern einfach überrannt wird. Dabei verfügt das Kongressgebäude über eine eigene, 2000 Mann starke Polizeieinheit. Die Kapitolpolizei hatte die Bedrohungslage offensichtlich dramatisch unterschätzt. Man hatte sich zwar auf Protest, aber nicht auf eine Attacke vorbereitet, erklärten anonyme Offizielle in US-Medien. Als die Lage bedrohlicher wurde, war zudem ein Teil der Kapitolpolizei damit beschäftigt, die Abgeordneten in Sicherheit zu bringen.
Die Kapitolpolizei versicherte der Stadtpolizei von Washington, sie habe die Lage im Griff. Die bedrohlichen Bilder von den Black-Lives-Matter-Protesten im Kopf, agierten Politik und Sicherheitsapparat sehr zurückhaltend. Washingtons Stadtpräsidentin Muriel Bowser wollte laut «Washington Post» keine Sicherheitskräfte von aussen in der Stadt haben. Das Militär hielt sich nach Kritik an der Präsenz im Sommer zurück. Verstärkung wurde erst angefordert, als die Meute bereits im und auf dem Herzen der amerikanischen Demokratie trampelte. Brisant: Eine Anfrage im Pentagon für 200 Nationalgardisten blieb laut «Washington Post» zunächst einfach unbeantwortet. Eine ganze Stunde später wurde die Nationalgarde von Washington aktiviert.
Mehrere hochrangige Politiker der Republikanischen Partei, die Trump lange unterstützten, fanden nach den Ausschreitungen klare Worte. Ron DeSantis etwa, Gouverneur von Florida, nannte die Vorfälle «inakzeptabel» und verlangte, dass «die Täter zur Rechenschaft gezogen werden». Der Trump-Unterstützer Tom Cotton, ein Senator aus Arkansas, forderte den Präsidenten auf, das Wahlergebnis zu akzeptieren und aufzuhören, «das amerikanische Volk in die Irre zu führen». In Trumps Kabinett gab es am Donnerstag den ersten Rücktritt.
Selbst nach den schockierenden Bildern aus dem Kapitol hielten einige Republikaner weiter an ihrem Vorhaben fest, das Wahlergebnis umzustürzen. Josh Hawley etwa, Senator aus dem Bundesstaat Missouri. Dem konservativen 41-Jährigen trauen nicht wenige Beobachter zu, das politische Erbe von Donald Trump anzutreten. Die Gruppe um Hawley ist allerdings auf ein paar wenige Politiker zusammengeschrumpft. Eine grosse Zahl führender Republikaner – allen voran Vizepräsident Mike Pence – haben nach dem Sturm auf das Parlamentsgebäude und der halbherzigen Reaktion des Präsidenten mit Trump gebrochen.
Ja. Laut amerikanischen Medienberichten gibt es unter den Parlamentariern Bestrebungen, ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen Trump anzustreben. Möglich wäre eine Anklage gegen den Präsidenten unter anderem deshalb, weil er lokalen Wahlverantwortlichen in Georgia rechtliche Schritte androhte, wenn sie ihm nicht zusätzliche Wahlstimmen finden würden. Bei einem sogenannten «Impeachment»-Verfahren könnte das Parlament Trump darüber hinaus verbieten, in Zukunft je wieder für ein politisches Amt zu kandidieren. Das wäre ein Novum in der US-Geschichte.
Mike Pence könnte – wenn er die Hälfte von Trumps Ministern auf seine Seite brächte – den 25. Verfassungsartikel aktivieren und beim Parlament einen Antrag auf Amtsenthebung wegen «Unfähigkeit» stellen. Käme er damit durch, müsste Trump seinen Posten räumen. Pence selbst rückte dann für die letzten beiden Wochen ins höchste Amt nach. Dass dies passiert, ist jedoch genauso unwahrscheinlich wie ein freiwilliger Rücktritt von Trump. Aller Voraussicht nach wird Trump die verbleibenden beiden Wochen seiner Präsidentschaft im Amt bleiben.
Der 46. Präsident der Vereinigten Staaten versucht, die Wogen zu glätten. Er hat daran erinnert, dass Amerika viele düstere Zeiten überstanden habe – und auch die aktuelle Herausforderung meistern werde. Mit Blick auf die Demonstranten, die das Kapitol stürmten, wurde Biden aber deutlich. Er nannte sie «einheimische Terroristen».
Mit Gewinnen! Zwei Tage in Folge sind die wichtigsten US-Aktienindizes gestiegen, der Nasdaq gestern um über zwei Prozent. Die Investoren sind überzeugt, dass jetzt eine friedliche Amtsübergabe gesichert ist. Und sie freuen sich auch über den Sieg der Demokraten in Georgia: Traditionell ist diese Partei ausgabefreudiger, sie kontrolliert nun auch den Senat. Joe Bidens Chancen steigen nun, sein 900 Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm durchzubringen.