Italien
Referendumsabstimmung: Premier Renzi zittert um Bohrplattformen und 5 Milliarden Euro

Der Abstimmungskampf zum Referendum über die Offshore-Förderung ist heftiger, als dem Premier lieb ist. Eigentlich geht es nur noch um die Frage, ob die bestehenden Plattformen – wie es das Regierungsdekret vorsah – unbefristet weiterfördern können, bis die jeweiligen Vorkommen erschöpft sind.

Dominik Straub, Rom
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Vor Italiens Küsten gibt es insgesamt 135 Offshore-Plattformen, von denen sich 92 innerhalb der 12-Meilen-Zone befinden und damit vom Referendum betroffen sind. (Symbolbild)

Vor Italiens Küsten gibt es insgesamt 135 Offshore-Plattformen, von denen sich 92 innerhalb der 12-Meilen-Zone befinden und damit vom Referendum betroffen sind. (Symbolbild)

Keystone

Die Pläne, die Matteo Renzi vor eineinhalb Jahren präsentierte, waren – wie meist beim ungestümen, jungen italienischen Premier – hochfliegend: Die bisherige Fördermenge an Erdöl und Erdgas, die aus italienischen Bohrlöchern gewonnen wird, sollte bis ins Jahr 2020 verdoppelt werden. Heute deckt Italien 10 Prozent seines Erdöl- und 28 Prozent des Gasverbrauchs aus eigenen Vorkommen.

Eine Verdoppelung dieser Zahlen bringe der Staatskasse jährlich 5 Milliarden Euro und schaffe ausserdem etwa 25 000 neue Jobs, betonte Renzi. Beides könne das Land dringend gebrauchen. Und damit die betroffenen Küstenregionen nicht dazwischenfunken können, hat Renzi die Öl- und Gasförderung per Dekret kurzerhand zur nationalen Angelegenheit erklärt.

Gegen das Dekret ergriffen Umweltverbände und neun Regionen das Referendum. Aber noch ehe die Italiener an die Urnen gerufen wurden, pfiff das Verfassungsgericht den Regierungschef in einem entscheidenden Punkt bereits zurück: Die Regionen bei der Förderung von fossilen Energieträgern auf ihrem Territorium zu umgehen, sei verfassungswidrig.

Das Urteil war ein schwerer Dämpfer für Renzi, der in der Folge auch in einem zweiten umstrittenen Punkt des Dekrets nachgeben musste: Projekte für neue Bohrplattformen werden, zumindest innerhalb der 12-Meilen-Zone (also bis etwa 22 Kilometer vor der Küste), generell nicht mehr bewilligt.

Erste Schliessung in zwei Jahren

Bei dem Referendum geht es deshalb nur noch um die Frage, ob die bestehenden Plattformen – wie es das Regierungsdekret vorsah – unbefristet weiterfördern können, bis die jeweiligen Vorkommen erschöpft sind. Oder ob die Plattformen – wie es die Befürworter des Referendums wollen – nach dem Ablauf der gültigen Konzessionen umgehend stillgelegt werden sollen. Laut dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung befinden sich vor Italiens Küsten insgesamt 135 Offshore-Plattformen, von denen sich 92 innerhalb der 12-Meilen-Zone befinden und damit vom Referendum betroffen sind. Im Falle einer Annahme des Referendums wären ihre Tage gezählt: Die erste Plattform würde bereits in zwei Jahren geschlossen, die letzte müsste im Jahr 2034 stillgelegt werden – unabhängig davon, ob aus dem Bohrloch am Meeresboden noch Öl sprudelt oder nicht.

Obwohl die Stimmberechtigten am Sonntag zur Offshore-Förderung nur noch über das Tempo des Ausstiegs und nicht mehr über den Ausstieg an sich befinden werden, hat sich in Italien ein leidenschaftlicher Abstimmungskampf entwickelt. Die Befürworter des Referendums argumentieren mit den Gefahren der Offshore-Ölförderung für die Meeresfauna und für den Badetourismus und erinnern an Katastrophen wie jene im Golf von Mexiko nach dem Desaster der «Deepwater Horizon» im Jahr 2010. Ausserdem sei es absurd, in einem von so viel Sonnenschein gesegneten Land wie Italien weiterhin auf fossile Brennstoffe statt auf den weiteren Ausbau alternativer Energieträger zu setzen.

Gegner der Abstimmungsvorlage wie der frühere Ministerpräsident Romano Prodi dagegen finden, dass es sowohl ökonomisch als auch ökologisch unsinnig sei, die bereits bestehenden Plattformen vorzeitig zu schliessen. Dabei gingen Tausende von Arbeitsplätzen verloren. «Ein Ja zum Referendum wäre ein nationaler Selbstmord», ereifert sich Prodi. Die Referendumsgegner betonen ausserdem, dass es bei der Abstimmung nicht um einen Entscheid zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern gehe: Die Fördermengen, die verloren gingen, würden ihrer Ansicht nach nicht durch Sonnenstrom oder Wind- und Wasserkraft ersetzt, sondern einfach durch Importe von Öl und Gas im gleichen Umfang. Mit dem einzigen Unterschied, dass nicht mehr der italienische Staat profitiere, sondern ausländische Energiekonzerne.

Affäre um Ministerin

Laut Umfragen stehen fast drei Viertel der Stimmberechtigten hinter dem Referendum, das auch von der Kirche unterstützt wird. Dennoch musste sich Renzi zunächst wenig Sorgen machen: Damit das Referendum gültig ist, müssten sich mindestens 50 Prozent an der Abstimmung beteiligen. Gerade Energie- und Umweltpolitik vermögen die Italiener in der Regel nicht besonders zu mobilisieren.

Eine peinliche Affäre um Renzis Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Federica Guidi, hat aber in den letzten Tagen den Eindruck geweckt, die Regierung sei gegenüber der Energielobby allzu nachgiebig. Guidi musste zurücktreten, und die Referendumsbefürworter freuen sich über die unerwartete, neue Munition. Statt einer Abstimmung über Offshore-Plattformen wird das Referendum nun zu einer Abstimmung über Renzi und seine Lobby-Freunde.