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Nach einer ersten, flüchtigen Lektüre des nachsynodalen Schreibens «Amoris Laetitia» könnte man zum Schluss kommen: Papst Franziskus ist eingeknickt und ganz auf die Linie der konservativen Bischöfe eingeschwenkt, die schon an den beiden Familiensynoden den Ton angegeben hatten.
Die Ehe bleibt unauflöslich, Homosexualität eine Sünde, und auch Verhütung ist weiterhin nicht gottgefällig.
Doch dieser Eindruck täuscht. Zwar hat Franziskus die geltende Lehre nicht umgekrempelt. Das war aber auch nicht ernsthaft zu erwarten. Dem Papst geht es um etwas anderes. Er will keine andere Lehre, sondern eine andere Haltung der Kirche: Er fordert Respekt und Mitgefühl auch für Gemeindemitglieder, die vom Pfad der katholischen Tugend abgewichen sind. Er will eine Kirche, die sich um die Sünder, die Armen, die Zweifler und Verzweifelten kümmert. Er will die verirrten Schäfchen nicht verurteilen, sondern sie in die Herde zurückführen.
Moralische Gesetze seien keine Felsblöcke, «die man auf das Leben von Menschen wirft», heisst es im päpstlichen Schreiben – ein völlig neuer Ton im Vergleich zu seinen Vorgängern. Franziskus lässt es aber nicht bei einem neuen Ton bewenden, sondern er öffnet auch inhaltliche, für die Praxis wichtige Spielräume: So sollen künftig die Ortsbischöfe entscheiden können, ob und unter welchen Bedingungen wieder verheiratete Geschiedene am kirchlichen Leben und an den Sakramenten teilnehmen können. Die Konservativen hätten sich garantiert etwas anderes gewünscht.
Im Grunde «legalisiert» der Papst damit letztlich eine Praxis, die in vielen Diözesen ohnehin üblich ist: Die Hostie wird selten verweigert. Und für die meisten betroffenen Paare scheint es sich ebenfalls nicht um ein besonders dringliches Problem zu handeln. «Ich wünschte,
ich hätte Tausende Leute vor der Türe, die schreien: ‹Wir wollen Kommunion, wir wollen wieder in die Kirche!› Ich wünschte, die machten das, aber das tun sie nicht», betonte der New Yorker Erzbischof und Kardinal Timothy Dolan.